Eine so unerhörte Härte, welche ihr schwerer zu tragen war, als jede an ihr ausgeübte Mißhandlung, setzte denn auch einige Kälte in ihr Herz. Sie wur- den einander immer fremder, ob er gleich nicht mäßi- ger in seinem ungestümen Betragen gegen sie ward. Er legte es überall darauf an, daß sie des Bandes mit ihm überdrüßig werden und es trennen sollte; allein ihre Geduld war unermüdet, denn sie liebte ihn. Auch hatte sie wegen ihrer Geschäfte nicht Zeit, Rathgeber und Aufhetzer anzuhören; und bei ihrer Mutter wußte sie, daß sie sich keinen Trost zu holen hatte, theils weil dieselbe in eigenen häuslichen Kummer immer tiefer verwickelt wurde, theils weil sie über den Namen Ehe- frau die strengsten Grundsätze hielt.
So, unter beständigen Gewitterwolken, vergingen ihr die Jahre einer feuervollen Jugend, in welchen sonst das Genie den glücklichsten Schwung zu machen pflegt, weil zu solcher Zeit alle Kräfte des Einbildungs- vermögens sich vereinigen. Sie erreichte endlich das eilfte Jahr ihres Ehestandes. Ihres Mannes stets zunehmender Widerwille gegen sie ward jezt so rucht- bar, daß es bis zu den Ohren ihrer Mutter kam, welche bisher mit jeder Klage war verschont worden. Diese bedauernswürdige Frau lebte selbst in dem lei- denvollsten Zustande, welcher eine feine Seele drücken kann. Sie war von ihrem zweiten Manne Wittwe
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Eine ſo unerhoͤrte Haͤrte, welche ihr ſchwerer zu tragen war, als jede an ihr ausgeuͤbte Mißhandlung, ſetzte denn auch einige Kaͤlte in ihr Herz. Sie wur- den einander immer fremder, ob er gleich nicht maͤßi- ger in ſeinem ungeſtuͤmen Betragen gegen ſie ward. Er legte es uͤberall darauf an, daß ſie des Bandes mit ihm uͤberdruͤßig werden und es trennen ſollte; allein ihre Geduld war unermuͤdet, denn ſie liebte ihn. Auch hatte ſie wegen ihrer Geſchaͤfte nicht Zeit, Rathgeber und Aufhetzer anzuhoͤren; und bei ihrer Mutter wußte ſie, daß ſie ſich keinen Troſt zu holen hatte, theils weil dieſelbe in eigenen haͤuslichen Kummer immer tiefer verwickelt wurde, theils weil ſie uͤber den Namen Ehe- frau die ſtrengſten Grundſaͤtze hielt.
So, unter beſtaͤndigen Gewitterwolken, vergingen ihr die Jahre einer feuervollen Jugend, in welchen ſonſt das Genie den gluͤcklichſten Schwung zu machen pflegt, weil zu ſolcher Zeit alle Kraͤfte des Einbildungs- vermoͤgens ſich vereinigen. Sie erreichte endlich das eilfte Jahr ihres Eheſtandes. Ihres Mannes ſtets zunehmender Widerwille gegen ſie ward jezt ſo rucht- bar, daß es bis zu den Ohren ihrer Mutter kam, welche bisher mit jeder Klage war verſchont worden. Dieſe bedauernswuͤrdige Frau lebte ſelbſt in dem lei- denvollſten Zuſtande, welcher eine feine Seele druͤcken kann. Sie war von ihrem zweiten Manne Wittwe
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Eine ſo unerhoͤrte Haͤrte, welche ihr ſchwerer zu
tragen war, als jede an ihr ausgeuͤbte Mißhandlung,
ſetzte denn auch einige Kaͤlte in ihr Herz. Sie wur-
den einander immer fremder, ob er gleich nicht maͤßi-
ger in ſeinem ungeſtuͤmen Betragen gegen ſie ward.
Er legte es uͤberall darauf an, daß ſie des Bandes mit
ihm uͤberdruͤßig werden und es trennen ſollte; allein
ihre Geduld war unermuͤdet, denn ſie liebte ihn. Auch
hatte ſie wegen ihrer Geſchaͤfte nicht Zeit, Rathgeber
und Aufhetzer anzuhoͤren; und bei ihrer Mutter wußte
ſie, daß ſie ſich keinen Troſt zu holen hatte, theils weil
dieſelbe in eigenen haͤuslichen Kummer immer tiefer
verwickelt wurde, theils weil ſie uͤber den Namen Ehe-
frau die ſtrengſten Grundſaͤtze hielt.
So, unter beſtaͤndigen Gewitterwolken, vergingen
ihr die Jahre einer feuervollen Jugend, in welchen
ſonſt das Genie den gluͤcklichſten Schwung zu machen
pflegt, weil zu ſolcher Zeit alle Kraͤfte des Einbildungs-
vermoͤgens ſich vereinigen. Sie erreichte endlich das
eilfte Jahr ihres Eheſtandes. Ihres Mannes ſtets
zunehmender Widerwille gegen ſie ward jezt ſo rucht-
bar, daß es bis zu den Ohren ihrer Mutter kam,
welche bisher mit jeder Klage war verſchont worden.
Dieſe bedauernswuͤrdige Frau lebte ſelbſt in dem lei-
denvollſten Zuſtande, welcher eine feine Seele druͤcken
kann. Sie war von ihrem zweiten Manne Wittwe
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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/83>, abgerufen am 21.11.2024.
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