geworden, und hatte, wegen der zu erziehenden Kinder, sich einem dritten Manne vertraut, welcher die Wohl- redenheit aus dem Grunde besaß, im Herzen aber ein Schalk und Tirann war. Er glaubte Vermögen mit ihr zu heirathen, und als er sie hatte, brachte er ihr noch das Wenige durch, was sie im Vermögen hatte. Als sie nun durch ihn ganz arm war, machte er aus ihren Kindern, wider ihren Willen, Professio- nisten, und seine würdige Frau behandelte er wie das niedrigste Geschöpf. Wie hätte hier ihre gleichleidende Tochter Trost finden wollen? Abscheulich war es, daß der zweite Stiefvater ihre würdige Mutter mit der Tochter Schicksal quälte, und wiederum die Tochter durch die Vorwürfe ihres Mannes wegen der Mutter dritten Heirath gequält wurde.
In solcher Lage kam sie jedennoch in den Zustand, daß sie zum viertenmale die Welt vermehren sollte. Diese Entdeckung brachte ihn so auf, daß sie es kaum mehr aushalten konnte, und einmal gezwungen war, acht Tage lang sich bei ihrer guten Schwiegermutter aufzuhalten, um sich vor seiner wüthenden Laune zu schützen. Das Zureden dieser alten braven Frau be- sänftigte ihn zwar so weit, daß seine furchtsame Gat- tin sich wieder zu ihm wagte und eine Weile im Frieden bei ihm lebte, allein es hatte nicht lange Bestand. Eines Tages war er ausgegangen und kam spät des
geworden, und hatte, wegen der zu erziehenden Kinder, ſich einem dritten Manne vertraut, welcher die Wohl- redenheit aus dem Grunde beſaß, im Herzen aber ein Schalk und Tirann war. Er glaubte Vermoͤgen mit ihr zu heirathen, und als er ſie hatte, brachte er ihr noch das Wenige durch, was ſie im Vermoͤgen hatte. Als ſie nun durch ihn ganz arm war, machte er aus ihren Kindern, wider ihren Willen, Profeſſio- niſten, und ſeine wuͤrdige Frau behandelte er wie das niedrigſte Geſchoͤpf. Wie haͤtte hier ihre gleichleidende Tochter Troſt finden wollen? Abſcheulich war es, daß der zweite Stiefvater ihre wuͤrdige Mutter mit der Tochter Schickſal quaͤlte, und wiederum die Tochter durch die Vorwuͤrfe ihres Mannes wegen der Mutter dritten Heirath gequaͤlt wurde.
In ſolcher Lage kam ſie jedennoch in den Zuſtand, daß ſie zum viertenmale die Welt vermehren ſollte. Dieſe Entdeckung brachte ihn ſo auf, daß ſie es kaum mehr aushalten konnte, und einmal gezwungen war, acht Tage lang ſich bei ihrer guten Schwiegermutter aufzuhalten, um ſich vor ſeiner wuͤthenden Laune zu ſchuͤtzen. Das Zureden dieſer alten braven Frau be- ſaͤnftigte ihn zwar ſo weit, daß ſeine furchtſame Gat- tin ſich wieder zu ihm wagte und eine Weile im Frieden bei ihm lebte, allein es hatte nicht lange Beſtand. Eines Tages war er ausgegangen und kam ſpaͤt des
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geworden, und hatte, wegen der zu erziehenden Kinder,
ſich einem dritten Manne vertraut, welcher die Wohl-
redenheit aus dem Grunde beſaß, im Herzen aber
ein Schalk und Tirann war. Er glaubte Vermoͤgen
mit ihr zu heirathen, und als er ſie hatte, brachte er
ihr noch das Wenige durch, was ſie im Vermoͤgen
hatte. Als ſie nun durch ihn ganz arm war, machte
er aus ihren Kindern, wider ihren Willen, Profeſſio-
niſten, und ſeine wuͤrdige Frau behandelte er wie das
niedrigſte Geſchoͤpf. Wie haͤtte hier ihre gleichleidende
Tochter Troſt finden wollen? Abſcheulich war es, daß
der zweite Stiefvater ihre wuͤrdige Mutter mit der
Tochter Schickſal quaͤlte, und wiederum die Tochter
durch die Vorwuͤrfe ihres Mannes wegen der Mutter
dritten Heirath gequaͤlt wurde.
In ſolcher Lage kam ſie jedennoch in den Zuſtand,
daß ſie zum viertenmale die Welt vermehren ſollte.
Dieſe Entdeckung brachte ihn ſo auf, daß ſie es kaum
mehr aushalten konnte, und einmal gezwungen war,
acht Tage lang ſich bei ihrer guten Schwiegermutter
aufzuhalten, um ſich vor ſeiner wuͤthenden Laune zu
ſchuͤtzen. Das Zureden dieſer alten braven Frau be-
ſaͤnftigte ihn zwar ſo weit, daß ſeine furchtſame Gat-
tin ſich wieder zu ihm wagte und eine Weile im Frieden
bei ihm lebte, allein es hatte nicht lange Beſtand.
Eines Tages war er ausgegangen und kam ſpaͤt des
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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/84>, abgerufen am 21.11.2024.
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