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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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So waren drei Vierteljahre vergangen, ohne daß
sie eben sonderlich einen bessern Zustand wünschte,
als der Zufall den Karsch, welcher auf sein Metier
reisete, durch das Dorf führte, wo er sich bei dem
Krüger etwas zu trinken geben ließ. Die Dichterin,
welche sich in diesem Hause befand, fiel ihm mit ihrem
säugenden Kinde auf; er frug, wer sie wäre? und
als man ihm ihr Schicksal erzählte, empfand er so-
gleich Mitleid und Zuneigung gegen sie, und beschloß
sie zu heirathen, um durch seinen Namen wenigstens
das Andenken der Scheidung auszulöschen, wenn er
sie auch nicht auf andere Weise glücklich machen könn-
te. War in den Umständen, worin er sich befand, der
Gedanke, eine Haushaltung zu errichten, Leichtsinn,
so zeigte er doch eine gute Seite des Herzens, und war
deswegen nicht ganz zu verwerfen. So bald dieser
Gedanke in ihm aufgestiegen war, trug er ihn auch
der jungen Frau vor, und schwor, daß er alles thun
wollte, um sie ihres Elendes vergessen zu machen. Der
Dichterin aber war sein Antrag zuwider, seine Phy-
siognomie mißfiel ihr im höchsten Grade, und sie sah
es ihm an, daß die Liebe zum Trunk ihm schon seine
Gesichtszüge verstellt hatte, ob er gleich noch ein junger
Mann war. Indessen hatte sie doch, vermöge ihrer
Gemüthsart, nicht den Muth, ihm gradesweges zu
sagen, daß sie ihn nicht haben wollte. Ueberhaupt

So waren drei Vierteljahre vergangen, ohne daß
ſie eben ſonderlich einen beſſern Zuſtand wuͤnſchte,
als der Zufall den Karſch, welcher auf ſein Metier
reiſete, durch das Dorf fuͤhrte, wo er ſich bei dem
Kruͤger etwas zu trinken geben ließ. Die Dichterin,
welche ſich in dieſem Hauſe befand, fiel ihm mit ihrem
ſaͤugenden Kinde auf; er frug, wer ſie waͤre? und
als man ihm ihr Schickſal erzaͤhlte, empfand er ſo-
gleich Mitleid und Zuneigung gegen ſie, und beſchloß
ſie zu heirathen, um durch ſeinen Namen wenigſtens
das Andenken der Scheidung auszuloͤſchen, wenn er
ſie auch nicht auf andere Weiſe gluͤcklich machen koͤnn-
te. War in den Umſtaͤnden, worin er ſich befand, der
Gedanke, eine Haushaltung zu errichten, Leichtſinn,
ſo zeigte er doch eine gute Seite des Herzens, und war
deswegen nicht ganz zu verwerfen. So bald dieſer
Gedanke in ihm aufgeſtiegen war, trug er ihn auch
der jungen Frau vor, und ſchwor, daß er alles thun
wollte, um ſie ihres Elendes vergeſſen zu machen. Der
Dichterin aber war ſein Antrag zuwider, ſeine Phy-
ſiognomie mißfiel ihr im hoͤchſten Grade, und ſie ſah
es ihm an, daß die Liebe zum Trunk ihm ſchon ſeine
Geſichtszuͤge verſtellt hatte, ob er gleich noch ein junger
Mann war. Indeſſen hatte ſie doch, vermoͤge ihrer
Gemuͤthsart, nicht den Muth, ihm gradesweges zu
ſagen, daß ſie ihn nicht haben wollte. Ueberhaupt

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[61/0093] So waren drei Vierteljahre vergangen, ohne daß ſie eben ſonderlich einen beſſern Zuſtand wuͤnſchte, als der Zufall den Karſch, welcher auf ſein Metier reiſete, durch das Dorf fuͤhrte, wo er ſich bei dem Kruͤger etwas zu trinken geben ließ. Die Dichterin, welche ſich in dieſem Hauſe befand, fiel ihm mit ihrem ſaͤugenden Kinde auf; er frug, wer ſie waͤre? und als man ihm ihr Schickſal erzaͤhlte, empfand er ſo- gleich Mitleid und Zuneigung gegen ſie, und beſchloß ſie zu heirathen, um durch ſeinen Namen wenigſtens das Andenken der Scheidung auszuloͤſchen, wenn er ſie auch nicht auf andere Weiſe gluͤcklich machen koͤnn- te. War in den Umſtaͤnden, worin er ſich befand, der Gedanke, eine Haushaltung zu errichten, Leichtſinn, ſo zeigte er doch eine gute Seite des Herzens, und war deswegen nicht ganz zu verwerfen. So bald dieſer Gedanke in ihm aufgeſtiegen war, trug er ihn auch der jungen Frau vor, und ſchwor, daß er alles thun wollte, um ſie ihres Elendes vergeſſen zu machen. Der Dichterin aber war ſein Antrag zuwider, ſeine Phy- ſiognomie mißfiel ihr im hoͤchſten Grade, und ſie ſah es ihm an, daß die Liebe zum Trunk ihm ſchon ſeine Geſichtszuͤge verſtellt hatte, ob er gleich noch ein junger Mann war. Indeſſen hatte ſie doch, vermoͤge ihrer Gemuͤthsart, nicht den Muth, ihm gradesweges zu ſagen, daß ſie ihn nicht haben wollte. Ueberhaupt

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/93>, abgerufen am 21.11.2024.