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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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wankte sie zwischen Wollen und nicht Wollen. Einen
Mann hätte sie freilich gern gehabt, weil sie dadurch
ihre jetzige üble Lage auslöschte; allein diesen, mit sei-
ner ihr widrigen Gesichtsbildung, wollte sie ungern
nehmen. Sie verwieß ihn also mit seinem Anliegen
an ihre Mutter in Tirschtiegel, indem sie gewiß glaub-
te, daß diese seine Physiognomie eben so abschreckend
finden sollte, als sie: allein sie irrte sehr.

Karsch eilte auf ihr Wort so schnell er konnte, zu
ihrer Mutter hinüber, sagte, daß ihre Tochter Willens
wäre, ihn zu heirathen, und bat um ihre Einwilligung.
Die ehrliebende Frau, welche erfreut war, daß ihr Kind
wieder in Schutz kommen sollte, gab ihm von ganzem
Herzen ihr Jawort, und mit dieser Nachricht kam er
zu seiner Erwählten zurück. Sie erschrak heftig dar-
über, als sie hörte, daß ihre Mutter ihre Bewilligung
gegeben hätte, sie konnte es kaum glauben, und ent-
schloß sich, selbst zu ihrer Mutter zu gehn und sie zu
fragen: ob der Karsch wahr gesagt habe? leider war
es nur zu wahr, und die kluge Mutter, welche wohl
wußte, daß sich zu ihrem geschmäheten Kinde nicht
leicht wieder ein Mann finden würde, der sie heirathen
wollte, drang mit Drohung ihres mütterlichen Un-
seegens darauf, daß sie ihn nehmen sollte. Sie sagte
dabei: Seine Profession würde sie nicht verlassen, sie
könnte ihm darinn helfen, und so würde sie doch wieder

wankte ſie zwiſchen Wollen und nicht Wollen. Einen
Mann haͤtte ſie freilich gern gehabt, weil ſie dadurch
ihre jetzige uͤble Lage ausloͤſchte; allein dieſen, mit ſei-
ner ihr widrigen Geſichtsbildung, wollte ſie ungern
nehmen. Sie verwieß ihn alſo mit ſeinem Anliegen
an ihre Mutter in Tirſchtiegel, indem ſie gewiß glaub-
te, daß dieſe ſeine Phyſiognomie eben ſo abſchreckend
finden ſollte, als ſie: allein ſie irrte ſehr.

Karſch eilte auf ihr Wort ſo ſchnell er konnte, zu
ihrer Mutter hinuͤber, ſagte, daß ihre Tochter Willens
waͤre, ihn zu heirathen, und bat um ihre Einwilligung.
Die ehrliebende Frau, welche erfreut war, daß ihr Kind
wieder in Schutz kommen ſollte, gab ihm von ganzem
Herzen ihr Jawort, und mit dieſer Nachricht kam er
zu ſeiner Erwaͤhlten zuruͤck. Sie erſchrak heftig dar-
uͤber, als ſie hoͤrte, daß ihre Mutter ihre Bewilligung
gegeben haͤtte, ſie konnte es kaum glauben, und ent-
ſchloß ſich, ſelbſt zu ihrer Mutter zu gehn und ſie zu
fragen: ob der Karſch wahr geſagt habe? leider war
es nur zu wahr, und die kluge Mutter, welche wohl
wußte, daß ſich zu ihrem geſchmaͤheten Kinde nicht
leicht wieder ein Mann finden wuͤrde, der ſie heirathen
wollte, drang mit Drohung ihres muͤtterlichen Un-
ſeegens darauf, daß ſie ihn nehmen ſollte. Sie ſagte
dabei: Seine Profeſſion wuͤrde ſie nicht verlaſſen, ſie
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[62/0094] wankte ſie zwiſchen Wollen und nicht Wollen. Einen Mann haͤtte ſie freilich gern gehabt, weil ſie dadurch ihre jetzige uͤble Lage ausloͤſchte; allein dieſen, mit ſei- ner ihr widrigen Geſichtsbildung, wollte ſie ungern nehmen. Sie verwieß ihn alſo mit ſeinem Anliegen an ihre Mutter in Tirſchtiegel, indem ſie gewiß glaub- te, daß dieſe ſeine Phyſiognomie eben ſo abſchreckend finden ſollte, als ſie: allein ſie irrte ſehr. Karſch eilte auf ihr Wort ſo ſchnell er konnte, zu ihrer Mutter hinuͤber, ſagte, daß ihre Tochter Willens waͤre, ihn zu heirathen, und bat um ihre Einwilligung. Die ehrliebende Frau, welche erfreut war, daß ihr Kind wieder in Schutz kommen ſollte, gab ihm von ganzem Herzen ihr Jawort, und mit dieſer Nachricht kam er zu ſeiner Erwaͤhlten zuruͤck. Sie erſchrak heftig dar- uͤber, als ſie hoͤrte, daß ihre Mutter ihre Bewilligung gegeben haͤtte, ſie konnte es kaum glauben, und ent- ſchloß ſich, ſelbſt zu ihrer Mutter zu gehn und ſie zu fragen: ob der Karſch wahr geſagt habe? leider war es nur zu wahr, und die kluge Mutter, welche wohl wußte, daß ſich zu ihrem geſchmaͤheten Kinde nicht leicht wieder ein Mann finden wuͤrde, der ſie heirathen wollte, drang mit Drohung ihres muͤtterlichen Un- ſeegens darauf, daß ſie ihn nehmen ſollte. Sie ſagte dabei: Seine Profeſſion wuͤrde ſie nicht verlaſſen, ſie koͤnnte ihm darinn helfen, und ſo wuͤrde ſie doch wieder

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/94>, abgerufen am 21.11.2024.