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Kautsky, Karl; Schönlank, Bruno: Grundsätze und Forderungen der Sozialdemokratie. 4. Aufl. Berlin, 1907.

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bändern, Brillen usw. Für das Weib in Kindesnöten, welches der Gemeinschaft
neue Mitglieder gebären wird, die Geburtshülfe unentgeltlich zu machen, ist
gleichfalls ein Erfordernis der Menschlichkeit und der gesellschaftlichen Einsicht.
Was heute die Krankenhäuser, die Gebäranstalten der Staaten, Kreise, Ge-
meinden, in welchen Unbemittelte umsonst Aufnahme finden, nur unvollkommen
leisten - ganz abgesehen von dem dieser Hülfe anhaftenden Merkmale der
Armenpflege -, das hat auf breitester Grundlage die Gemeinschaft zu ihrem
eigenen Vorteile durchzuführen.

Unentgeltlichkeit der Totenbestattung.

Uebernimmt die Gemeinschaft die oben gekennzeichneten Pflichten, so ist die
Unentgeltlichkeit der Totenbestattung aus den gleichen Gründen zu fordern. Jn
Zürich besteht sie bereits heute. Der schroffe Gegensatz zwischen dem widerlichen
Prunk einer großbürgerlichen Bestattung und einem Armenbegräbnisse fällt dann
fort, wenn das Gemeinwesen für alle die gleiche Verbindlichkeit übernimmt, ohne
einen Unterschied zwischen Reich und Arm zu machen. Kein "Nasenquetscher"
mehr für den Proletarier, kein Prachtsarg für den Großbürger!

X.
Stufenweis steigende Einkommen- und Vermögenssteuer zur
Bestreitung aller öffentlichen Ausgaben, soweit diese durch Steuern
zu decken sind.

Wie sollen die öffentlichen Lasten getragen werden? Offenbar ist jeder
hierzu gemäß seiner Leistungsfähigkeit heranzuziehen. Der leitende Gedanke
müßte sein: Jeder nach seinen Kräften, nach seinem Vermögen. Jn Wirklichkeit
ist die Steuerbürde ungleichmäßig verteilt, so daß die wirtschaftlich Schwachen
weit schwerer getroffen werden, als die wirtschaftlich Starken. Daß dem so ist,
stellt sich dar als eine Wirkung der Klassenherrschaft, welche die Besitzlosen zum
Gegenstande der Ausbeutung auch auf dem Gebiete der Steuerpolitik gemacht
hat. Das Kapital in seinen verschiedenen Erscheinungswesen weiß die ihm auf-
gelegten Beiträge zu den Kosten des öffentlichen Haushaltes mittelbar oder un-
mittelbar von sich auf andere abzuwälzen, und in letzter Reihe sind es jedesmal
die Arbeiter, welche die Zeche zu zahlen haben. Von den indirekten Steuern
hier noch ganz zu schweigen, ist die bunte Mannigfaltigkeit der übrigen Steuern
(Grund-, Gebäude-, Gewerbesteuer usf.) nicht imstande, die Steuerpflichtigen
überhaupt oder so wie es ihrer Steuerkraft entspricht, heranzuziehen. Die
Steuer wird überwälzt. Jmmer mehr bricht sich deshalb die Ueberzeugung
Bahn, daß die Quelle, aus welcher zu schöpfen ist, das Einkommen sei, dessen
Wesen in der mehr oder minder regelmäßigen Wiederkehr gewisser Einkünfte
besteht. Das Einkommen ist es, welches die Steuerkraft bedingt, und deshalb ist
die Einkommensteuer die Grundlage einer gerechteren Besteuerung. Erst im
neunzehnten Jahrhundert hat sie weitere Verbreitung gefunden, doch ist sie
zumeist mangelhaft, nur zu oft Lückenbüßer und Notbehelf, und eben nur ein
Glied eines vielverzweigten Besteuerungswesens. Haben wir auch in Preußen,
Sachsen, Baden, Hessen usw. die allgemeine, alle Einkommenszweige treffende
Einkommensteuer, während sie in Bayern und Württemberg nur bestimmte
Arten des Einkommens trifft, so trifft für sie doch das eben Gesagte zu.

Soll eine durchgreifende Aenderung im Sinne eines richtigen Ausmaßes
der Auflagen sich vollziehen, so muß eine einzige allgemeine Einkommensteuer
an Stelle der mannigfachen Abgaben treten. Unsere Forderung hat ihre Vor-
geschichte. Für die Vielheit die Einheit zu setzen, schlug, um nur einen zu nennen,
Marschall Vauban, einer der besten Männer Frankreichs, in seiner 1707 ge-

bändern, Brillen usw. Für das Weib in Kindesnöten, welches der Gemeinschaft
neue Mitglieder gebären wird, die Geburtshülfe unentgeltlich zu machen, ist
gleichfalls ein Erfordernis der Menschlichkeit und der gesellschaftlichen Einsicht.
Was heute die Krankenhäuser, die Gebäranstalten der Staaten, Kreise, Ge-
meinden, in welchen Unbemittelte umsonst Aufnahme finden, nur unvollkommen
leisten – ganz abgesehen von dem dieser Hülfe anhaftenden Merkmale der
Armenpflege –, das hat auf breitester Grundlage die Gemeinschaft zu ihrem
eigenen Vorteile durchzuführen.

Unentgeltlichkeit der Totenbestattung.

Uebernimmt die Gemeinschaft die oben gekennzeichneten Pflichten, so ist die
Unentgeltlichkeit der Totenbestattung aus den gleichen Gründen zu fordern. Jn
Zürich besteht sie bereits heute. Der schroffe Gegensatz zwischen dem widerlichen
Prunk einer großbürgerlichen Bestattung und einem Armenbegräbnisse fällt dann
fort, wenn das Gemeinwesen für alle die gleiche Verbindlichkeit übernimmt, ohne
einen Unterschied zwischen Reich und Arm zu machen. Kein „Nasenquetscher“
mehr für den Proletarier, kein Prachtsarg für den Großbürger!

X.
Stufenweis steigende Einkommen- und Vermögenssteuer zur
Bestreitung aller öffentlichen Ausgaben, soweit diese durch Steuern
zu decken sind.

Wie sollen die öffentlichen Lasten getragen werden? Offenbar ist jeder
hierzu gemäß seiner Leistungsfähigkeit heranzuziehen. Der leitende Gedanke
müßte sein: Jeder nach seinen Kräften, nach seinem Vermögen. Jn Wirklichkeit
ist die Steuerbürde ungleichmäßig verteilt, so daß die wirtschaftlich Schwachen
weit schwerer getroffen werden, als die wirtschaftlich Starken. Daß dem so ist,
stellt sich dar als eine Wirkung der Klassenherrschaft, welche die Besitzlosen zum
Gegenstande der Ausbeutung auch auf dem Gebiete der Steuerpolitik gemacht
hat. Das Kapital in seinen verschiedenen Erscheinungswesen weiß die ihm auf-
gelegten Beiträge zu den Kosten des öffentlichen Haushaltes mittelbar oder un-
mittelbar von sich auf andere abzuwälzen, und in letzter Reihe sind es jedesmal
die Arbeiter, welche die Zeche zu zahlen haben. Von den indirekten Steuern
hier noch ganz zu schweigen, ist die bunte Mannigfaltigkeit der übrigen Steuern
(Grund-, Gebäude-, Gewerbesteuer usf.) nicht imstande, die Steuerpflichtigen
überhaupt oder so wie es ihrer Steuerkraft entspricht, heranzuziehen. Die
Steuer wird überwälzt. Jmmer mehr bricht sich deshalb die Ueberzeugung
Bahn, daß die Quelle, aus welcher zu schöpfen ist, das Einkommen sei, dessen
Wesen in der mehr oder minder regelmäßigen Wiederkehr gewisser Einkünfte
besteht. Das Einkommen ist es, welches die Steuerkraft bedingt, und deshalb ist
die Einkommensteuer die Grundlage einer gerechteren Besteuerung. Erst im
neunzehnten Jahrhundert hat sie weitere Verbreitung gefunden, doch ist sie
zumeist mangelhaft, nur zu oft Lückenbüßer und Notbehelf, und eben nur ein
Glied eines vielverzweigten Besteuerungswesens. Haben wir auch in Preußen,
Sachsen, Baden, Hessen usw. die allgemeine, alle Einkommenszweige treffende
Einkommensteuer, während sie in Bayern und Württemberg nur bestimmte
Arten des Einkommens trifft, so trifft für sie doch das eben Gesagte zu.

Soll eine durchgreifende Aenderung im Sinne eines richtigen Ausmaßes
der Auflagen sich vollziehen, so muß eine einzige allgemeine Einkommensteuer
an Stelle der mannigfachen Abgaben treten. Unsere Forderung hat ihre Vor-
geschichte. Für die Vielheit die Einheit zu setzen, schlug, um nur einen zu nennen,
Marschall Vauban, einer der besten Männer Frankreichs, in seiner 1707 ge-

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[49/0051] bändern, Brillen usw. Für das Weib in Kindesnöten, welches der Gemeinschaft neue Mitglieder gebären wird, die Geburtshülfe unentgeltlich zu machen, ist gleichfalls ein Erfordernis der Menschlichkeit und der gesellschaftlichen Einsicht. Was heute die Krankenhäuser, die Gebäranstalten der Staaten, Kreise, Ge- meinden, in welchen Unbemittelte umsonst Aufnahme finden, nur unvollkommen leisten – ganz abgesehen von dem dieser Hülfe anhaftenden Merkmale der Armenpflege –, das hat auf breitester Grundlage die Gemeinschaft zu ihrem eigenen Vorteile durchzuführen. Unentgeltlichkeit der Totenbestattung. Uebernimmt die Gemeinschaft die oben gekennzeichneten Pflichten, so ist die Unentgeltlichkeit der Totenbestattung aus den gleichen Gründen zu fordern. Jn Zürich besteht sie bereits heute. Der schroffe Gegensatz zwischen dem widerlichen Prunk einer großbürgerlichen Bestattung und einem Armenbegräbnisse fällt dann fort, wenn das Gemeinwesen für alle die gleiche Verbindlichkeit übernimmt, ohne einen Unterschied zwischen Reich und Arm zu machen. Kein „Nasenquetscher“ mehr für den Proletarier, kein Prachtsarg für den Großbürger! X. Stufenweis steigende Einkommen- und Vermögenssteuer zur Bestreitung aller öffentlichen Ausgaben, soweit diese durch Steuern zu decken sind. Wie sollen die öffentlichen Lasten getragen werden? Offenbar ist jeder hierzu gemäß seiner Leistungsfähigkeit heranzuziehen. Der leitende Gedanke müßte sein: Jeder nach seinen Kräften, nach seinem Vermögen. Jn Wirklichkeit ist die Steuerbürde ungleichmäßig verteilt, so daß die wirtschaftlich Schwachen weit schwerer getroffen werden, als die wirtschaftlich Starken. Daß dem so ist, stellt sich dar als eine Wirkung der Klassenherrschaft, welche die Besitzlosen zum Gegenstande der Ausbeutung auch auf dem Gebiete der Steuerpolitik gemacht hat. Das Kapital in seinen verschiedenen Erscheinungswesen weiß die ihm auf- gelegten Beiträge zu den Kosten des öffentlichen Haushaltes mittelbar oder un- mittelbar von sich auf andere abzuwälzen, und in letzter Reihe sind es jedesmal die Arbeiter, welche die Zeche zu zahlen haben. Von den indirekten Steuern hier noch ganz zu schweigen, ist die bunte Mannigfaltigkeit der übrigen Steuern (Grund-, Gebäude-, Gewerbesteuer usf.) nicht imstande, die Steuerpflichtigen überhaupt oder so wie es ihrer Steuerkraft entspricht, heranzuziehen. Die Steuer wird überwälzt. Jmmer mehr bricht sich deshalb die Ueberzeugung Bahn, daß die Quelle, aus welcher zu schöpfen ist, das Einkommen sei, dessen Wesen in der mehr oder minder regelmäßigen Wiederkehr gewisser Einkünfte besteht. Das Einkommen ist es, welches die Steuerkraft bedingt, und deshalb ist die Einkommensteuer die Grundlage einer gerechteren Besteuerung. Erst im neunzehnten Jahrhundert hat sie weitere Verbreitung gefunden, doch ist sie zumeist mangelhaft, nur zu oft Lückenbüßer und Notbehelf, und eben nur ein Glied eines vielverzweigten Besteuerungswesens. Haben wir auch in Preußen, Sachsen, Baden, Hessen usw. die allgemeine, alle Einkommenszweige treffende Einkommensteuer, während sie in Bayern und Württemberg nur bestimmte Arten des Einkommens trifft, so trifft für sie doch das eben Gesagte zu. Soll eine durchgreifende Aenderung im Sinne eines richtigen Ausmaßes der Auflagen sich vollziehen, so muß eine einzige allgemeine Einkommensteuer an Stelle der mannigfachen Abgaben treten. Unsere Forderung hat ihre Vor- geschichte. Für die Vielheit die Einheit zu setzen, schlug, um nur einen zu nennen, Marschall Vauban, einer der besten Männer Frankreichs, in seiner 1707 ge-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-12-08T17:50:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-12-08T17:50:02Z)

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Zitationshilfe: Kautsky, Karl; Schönlank, Bruno: Grundsätze und Forderungen der Sozialdemokratie. 4. Aufl. Berlin, 1907, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kautsky_grundsaetze_1907/51>, abgerufen am 18.12.2024.