Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Sein Vater war des andern Tags wie zerschlagen und wollte nicht aus dem Hause. Der Handel und das ganze vieljährige Elend nahm heute eine neue, deutlichere Gestalt an und nahm sich bequemlich Platz in der drückenden Luft der Spelunke, also daß Mann und Frau matt und scheu um das Gespenst herumschlichen, aus der Stube in die dunklen Kämmerchen, von da in die Küche und aus dieser wieder sich in die Stube schleppten, in welcher kein Gast sich sehen ließ. Zuletzt hockte Jedes in einem Winkel und begann den Tag über ein müdes, halbtodtes Zanken und Vorhalten mit dem Andern, wobei sie zeitweise einschliefen, von unruhigen Tagträumen geplagt, welche aus dem Gewissen kamen und sie wieder weckten. Nur Sali sah und hörte nichts davon, denn er dachte nur an Vrenchen. Es war ihm immer noch zu Muth, nicht nur als ob er unsäglich reich wäre, sondern auch was Rechts gelernt hätte und unendlich viel Schönes und Gutes wüßte, da er nun so deutlich und bestimmt um das wußte, was er gestern gesehen. Diese Wissenschaft war ihm wie vom Himmel gefallen, und er war in einer unaufhörlichen glücklichen Verwunderung darüber; und doch war es ihm, als ob er es eigentlich von jeher gewußt und gekannt hätte, was ihn jetzt mit so wundersamer Süßigkeit erfüllte. Denn nichts gleicht dem Reichthum und der Unergründlichkeit eines Glückes, das an den Menschen herantritt in einer so klaren und deutlichen Gestalt, vom Pfäfflein getauft und wohl versehen mit

Sein Vater war des andern Tags wie zerschlagen und wollte nicht aus dem Hause. Der Handel und das ganze vieljährige Elend nahm heute eine neue, deutlichere Gestalt an und nahm sich bequemlich Platz in der drückenden Luft der Spelunke, also daß Mann und Frau matt und scheu um das Gespenst herumschlichen, aus der Stube in die dunklen Kämmerchen, von da in die Küche und aus dieser wieder sich in die Stube schleppten, in welcher kein Gast sich sehen ließ. Zuletzt hockte Jedes in einem Winkel und begann den Tag über ein müdes, halbtodtes Zanken und Vorhalten mit dem Andern, wobei sie zeitweise einschliefen, von unruhigen Tagträumen geplagt, welche aus dem Gewissen kamen und sie wieder weckten. Nur Sali sah und hörte nichts davon, denn er dachte nur an Vrenchen. Es war ihm immer noch zu Muth, nicht nur als ob er unsäglich reich wäre, sondern auch was Rechts gelernt hätte und unendlich viel Schönes und Gutes wüßte, da er nun so deutlich und bestimmt um das wußte, was er gestern gesehen. Diese Wissenschaft war ihm wie vom Himmel gefallen, und er war in einer unaufhörlichen glücklichen Verwunderung darüber; und doch war es ihm, als ob er es eigentlich von jeher gewußt und gekannt hätte, was ihn jetzt mit so wundersamer Süßigkeit erfüllte. Denn nichts gleicht dem Reichthum und der Unergründlichkeit eines Glückes, das an den Menschen herantritt in einer so klaren und deutlichen Gestalt, vom Pfäfflein getauft und wohl versehen mit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0049"/>
      <div type="chapter" n="3">
        <p>Sein Vater war des andern Tags wie zerschlagen und wollte nicht aus dem Hause. Der                Handel und das ganze vieljährige Elend nahm heute eine neue, deutlichere Gestalt an                und nahm sich bequemlich Platz in der drückenden Luft der Spelunke, also daß Mann und                Frau matt und scheu um das Gespenst herumschlichen, aus der Stube in die dunklen                Kämmerchen, von da in die Küche und aus dieser wieder sich in die Stube schleppten,                in welcher kein Gast sich sehen ließ. Zuletzt hockte Jedes in einem Winkel und begann                den Tag über ein müdes, halbtodtes Zanken und Vorhalten mit dem Andern, wobei sie                zeitweise einschliefen, von unruhigen Tagträumen geplagt, welche aus dem Gewissen                kamen und sie wieder weckten. Nur Sali sah und hörte nichts davon, denn er dachte nur                an Vrenchen. Es war ihm immer noch zu Muth, nicht nur als ob er unsäglich reich wäre,                sondern auch was Rechts gelernt hätte und unendlich viel Schönes und Gutes wüßte, da                er nun so deutlich und bestimmt um das wußte, was er gestern gesehen. Diese                Wissenschaft war ihm wie vom Himmel gefallen, und er war in einer unaufhörlichen                glücklichen Verwunderung darüber; und doch war es ihm, als ob er es eigentlich von                jeher gewußt und gekannt hätte, was ihn jetzt mit so wundersamer Süßigkeit erfüllte.                Denn nichts gleicht dem Reichthum und der Unergründlichkeit eines Glückes, das an den                Menschen herantritt in einer so klaren und deutlichen Gestalt, vom Pfäfflein getauft                und wohl versehen mit<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0049] Sein Vater war des andern Tags wie zerschlagen und wollte nicht aus dem Hause. Der Handel und das ganze vieljährige Elend nahm heute eine neue, deutlichere Gestalt an und nahm sich bequemlich Platz in der drückenden Luft der Spelunke, also daß Mann und Frau matt und scheu um das Gespenst herumschlichen, aus der Stube in die dunklen Kämmerchen, von da in die Küche und aus dieser wieder sich in die Stube schleppten, in welcher kein Gast sich sehen ließ. Zuletzt hockte Jedes in einem Winkel und begann den Tag über ein müdes, halbtodtes Zanken und Vorhalten mit dem Andern, wobei sie zeitweise einschliefen, von unruhigen Tagträumen geplagt, welche aus dem Gewissen kamen und sie wieder weckten. Nur Sali sah und hörte nichts davon, denn er dachte nur an Vrenchen. Es war ihm immer noch zu Muth, nicht nur als ob er unsäglich reich wäre, sondern auch was Rechts gelernt hätte und unendlich viel Schönes und Gutes wüßte, da er nun so deutlich und bestimmt um das wußte, was er gestern gesehen. Diese Wissenschaft war ihm wie vom Himmel gefallen, und er war in einer unaufhörlichen glücklichen Verwunderung darüber; und doch war es ihm, als ob er es eigentlich von jeher gewußt und gekannt hätte, was ihn jetzt mit so wundersamer Süßigkeit erfüllte. Denn nichts gleicht dem Reichthum und der Unergründlichkeit eines Glückes, das an den Menschen herantritt in einer so klaren und deutlichen Gestalt, vom Pfäfflein getauft und wohl versehen mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:34:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:34:29Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_dorfe_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_dorfe_1910/49
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_dorfe_1910/49>, abgerufen am 21.11.2024.