Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

läßt Nichts zu sehen übrig, als hier einen Bogen
Briefpapier, dort eine Haarbürste. Es ist ein
unerquickliches Leben in dieser baumwollenen
Pracht der Miethzimmer, immer den Reisekoffer
neben dem Ofen!

Die Wohnung jedoch, welche Heinrich gefun¬
den hatte, entsprach mehr seinen mitgebrachten
mannigfaltigen Habseligkeiten. Sie war einfach,
aber bequem und hatte in ihrer Einrichtung das
Ansehen einer seit lange so bestandenen ordent¬
lichen Wohnstube. Die Fenster gingen auf einen
stillen Hof, die Sessel an denselben standen noch
auf besonderen Erhöhungen, und noch ein ande¬
rer behaglicher Sitz zum träumerischen Ausruhen
versprach die endlich geleerte Arche Noä Heinrichs
zu werden, welche er zwischen den Ofen und das
Bett hineinschob.

Er saß auch schon auf dem soliden Deckel,
ausruhend und nachdenklich, wie Einer, der für
den Augenblick nicht weiß, was eigentlich zunächst
nun zu beginnen ist. Ohne Empfehlungen und
Bekanntschaften in dieser Stadt angekommen,
mußte er sich ganz allein zu helfen und nach

laͤßt Nichts zu ſehen uͤbrig, als hier einen Bogen
Briefpapier, dort eine Haarbuͤrſte. Es iſt ein
unerquickliches Leben in dieſer baumwollenen
Pracht der Miethzimmer, immer den Reiſekoffer
neben dem Ofen!

Die Wohnung jedoch, welche Heinrich gefun¬
den hatte, entſprach mehr ſeinen mitgebrachten
mannigfaltigen Habſeligkeiten. Sie war einfach,
aber bequem und hatte in ihrer Einrichtung das
Anſehen einer ſeit lange ſo beſtandenen ordent¬
lichen Wohnſtube. Die Fenſter gingen auf einen
ſtillen Hof, die Seſſel an denſelben ſtanden noch
auf beſonderen Erhoͤhungen, und noch ein ande¬
rer behaglicher Sitz zum traͤumeriſchen Ausruhen
verſprach die endlich geleerte Arche Noaͤ Heinrichs
zu werden, welche er zwiſchen den Ofen und das
Bett hineinſchob.

Er ſaß auch ſchon auf dem ſoliden Deckel,
ausruhend und nachdenklich, wie Einer, der fuͤr
den Augenblick nicht weiß, was eigentlich zunaͤchſt
nun zu beginnen iſt. Ohne Empfehlungen und
Bekanntſchaften in dieſer Stadt angekommen,
mußte er ſich ganz allein zu helfen und nach

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0103" n="89"/>
la&#x0364;ßt Nichts zu &#x017F;ehen u&#x0364;brig, als hier einen Bogen<lb/>
Briefpapier, dort eine Haarbu&#x0364;r&#x017F;te. Es i&#x017F;t ein<lb/>
unerquickliches Leben in die&#x017F;er baumwollenen<lb/>
Pracht der Miethzimmer, immer den Rei&#x017F;ekoffer<lb/>
neben dem Ofen!</p><lb/>
        <p>Die Wohnung jedoch, welche Heinrich gefun¬<lb/>
den hatte, ent&#x017F;prach mehr &#x017F;einen mitgebrachten<lb/>
mannigfaltigen Hab&#x017F;eligkeiten. Sie war einfach,<lb/>
aber bequem und hatte in ihrer Einrichtung das<lb/>
An&#x017F;ehen einer &#x017F;eit lange &#x017F;o be&#x017F;tandenen ordent¬<lb/>
lichen Wohn&#x017F;tube. Die Fen&#x017F;ter gingen auf einen<lb/>
&#x017F;tillen Hof, die Se&#x017F;&#x017F;el an den&#x017F;elben &#x017F;tanden noch<lb/>
auf be&#x017F;onderen Erho&#x0364;hungen, und noch ein ande¬<lb/>
rer behaglicher Sitz zum tra&#x0364;umeri&#x017F;chen Ausruhen<lb/>
ver&#x017F;prach die endlich geleerte Arche Noa&#x0364; Heinrichs<lb/>
zu werden, welche er zwi&#x017F;chen den Ofen und das<lb/>
Bett hinein&#x017F;chob.</p><lb/>
        <p>Er &#x017F;aß auch &#x017F;chon auf dem &#x017F;oliden Deckel,<lb/>
ausruhend und nachdenklich, wie Einer, der fu&#x0364;r<lb/>
den Augenblick nicht weiß, was eigentlich zuna&#x0364;ch&#x017F;t<lb/>
nun zu beginnen i&#x017F;t. Ohne Empfehlungen und<lb/>
Bekannt&#x017F;chaften in die&#x017F;er Stadt angekommen,<lb/>
mußte er &#x017F;ich ganz allein zu helfen und nach<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0103] laͤßt Nichts zu ſehen uͤbrig, als hier einen Bogen Briefpapier, dort eine Haarbuͤrſte. Es iſt ein unerquickliches Leben in dieſer baumwollenen Pracht der Miethzimmer, immer den Reiſekoffer neben dem Ofen! Die Wohnung jedoch, welche Heinrich gefun¬ den hatte, entſprach mehr ſeinen mitgebrachten mannigfaltigen Habſeligkeiten. Sie war einfach, aber bequem und hatte in ihrer Einrichtung das Anſehen einer ſeit lange ſo beſtandenen ordent¬ lichen Wohnſtube. Die Fenſter gingen auf einen ſtillen Hof, die Seſſel an denſelben ſtanden noch auf beſonderen Erhoͤhungen, und noch ein ande¬ rer behaglicher Sitz zum traͤumeriſchen Ausruhen verſprach die endlich geleerte Arche Noaͤ Heinrichs zu werden, welche er zwiſchen den Ofen und das Bett hineinſchob. Er ſaß auch ſchon auf dem ſoliden Deckel, ausruhend und nachdenklich, wie Einer, der fuͤr den Augenblick nicht weiß, was eigentlich zunaͤchſt nun zu beginnen iſt. Ohne Empfehlungen und Bekanntſchaften in dieſer Stadt angekommen, mußte er ſich ganz allein zu helfen und nach

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/103
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/103>, abgerufen am 21.11.2024.