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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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sogar musikalische Instrumente, die Einem fast an
die Hand gewachsen sind, über Bord wirft und
starr und ängstlich seine Zukunft suchend, welche
immer zurückzuweichen scheint, während sie fort¬
während um uns herumschleicht und hinter unserm
Rücken unbemerkt zur Vergangenheit wird, mit
dem zusammengepreßten Gepäcke eines Couriers
Jahre lang dahin lebt, in Wohnungen, die eben
so knapp eingerichtet sind, ein Bett, ein Tisch,
ein Sopha, vier Stühle, und das Alles in der
jämmerlichen Eleganz, wie sie der Laden eines
Trödlers oder Möbelverleihers darbietet und der
Geschmack einer hungrigen Wittwe zusammenstellt.
Da ist keine trauliche Uhr an der Wand, ja kein
überzähliges Tischchen am Fenster, kein Blumen¬
stock vor demselben; statt daß klare weiße Vor¬
hänge schlicht darüberhangen, schlingt sich toll ge¬
wordener rother und gelber Kattun um einen
trübselig vergoldeten Spieß, welcher schon zwölf¬
mal verkauft und wieder gekauft wurde. Und
trotz dieser Armseligkeit hat die einzige Kommode
im Nu das Mitgebrachte des fahrenden Bewoh¬
ners verschlungen wie ein Haifisch eine Katze und

ſogar muſikaliſche Inſtrumente, die Einem faſt an
die Hand gewachſen ſind, uͤber Bord wirft und
ſtarr und aͤngſtlich ſeine Zukunft ſuchend, welche
immer zuruͤckzuweichen ſcheint, waͤhrend ſie fort¬
waͤhrend um uns herumſchleicht und hinter unſerm
Ruͤcken unbemerkt zur Vergangenheit wird, mit
dem zuſammengepreßten Gepaͤcke eines Couriers
Jahre lang dahin lebt, in Wohnungen, die eben
ſo knapp eingerichtet ſind, ein Bett, ein Tiſch,
ein Sopha, vier Stuͤhle, und das Alles in der
jaͤmmerlichen Eleganz, wie ſie der Laden eines
Troͤdlers oder Moͤbelverleihers darbietet und der
Geſchmack einer hungrigen Wittwe zuſammenſtellt.
Da iſt keine trauliche Uhr an der Wand, ja kein
uͤberzaͤhliges Tiſchchen am Fenſter, kein Blumen¬
ſtock vor demſelben; ſtatt daß klare weiße Vor¬
haͤnge ſchlicht daruͤberhangen, ſchlingt ſich toll ge¬
wordener rother und gelber Kattun um einen
truͤbſelig vergoldeten Spieß, welcher ſchon zwoͤlf¬
mal verkauft und wieder gekauft wurde. Und
trotz dieſer Armſeligkeit hat die einzige Kommode
im Nu das Mitgebrachte des fahrenden Bewoh¬
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[88/0102] ſogar muſikaliſche Inſtrumente, die Einem faſt an die Hand gewachſen ſind, uͤber Bord wirft und ſtarr und aͤngſtlich ſeine Zukunft ſuchend, welche immer zuruͤckzuweichen ſcheint, waͤhrend ſie fort¬ waͤhrend um uns herumſchleicht und hinter unſerm Ruͤcken unbemerkt zur Vergangenheit wird, mit dem zuſammengepreßten Gepaͤcke eines Couriers Jahre lang dahin lebt, in Wohnungen, die eben ſo knapp eingerichtet ſind, ein Bett, ein Tiſch, ein Sopha, vier Stuͤhle, und das Alles in der jaͤmmerlichen Eleganz, wie ſie der Laden eines Troͤdlers oder Moͤbelverleihers darbietet und der Geſchmack einer hungrigen Wittwe zuſammenſtellt. Da iſt keine trauliche Uhr an der Wand, ja kein uͤberzaͤhliges Tiſchchen am Fenſter, kein Blumen¬ ſtock vor demſelben; ſtatt daß klare weiße Vor¬ haͤnge ſchlicht daruͤberhangen, ſchlingt ſich toll ge¬ wordener rother und gelber Kattun um einen truͤbſelig vergoldeten Spieß, welcher ſchon zwoͤlf¬ mal verkauft und wieder gekauft wurde. Und trotz dieſer Armſeligkeit hat die einzige Kommode im Nu das Mitgebrachte des fahrenden Bewoh¬ ners verſchlungen wie ein Haifiſch eine Katze und

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/102>, abgerufen am 24.11.2024.