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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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habe, aus einigen altfranzösischen Schäferroma¬
nen, Geßners Idyllen, Gellerts Lustspielen und
einem stark zerlesenen Exemplar des Münchhausen.
Zwei oder drei einzelne Bände von Wieland
schienen aus der Stadt geliehen und nicht mehr
zurückgeschickt worden zu sein. Man sang Hölty's
Lieder und nur die Jugend führte etwa einen
Mathisson mit sich. Der Pfarrer selbst, wenn
einmal von dergleichen Dingen die Rede war,
pflegte seit dreißig Jahren regelmäßig zu fragen:
"Haben Sie Kloppstocks Messias gelesen?" und
wenn das, wie natürlich, bejaht wurde, schwieg
er vorsichtig. Ein steinalter Herr, welcher sich in
seiner Jugend einige Zeit in Berlin umhergetrie¬
ben hatte und in der Gesellschaft des Pfarrhauses
allerlei schlechte Späße über den ehrwürdigen
Beruf des Hausherrn zum Besten gab, sprach
viel von Voltaire und mischte ein pikantes Grauen
in den unbefangenen Frohsinn der Damen. Im
Uebrigen gehörten die Gäste nicht zu jenen fein¬
sten Kreisen, welche die Cultur der herrschenden
Interessen durch erhöhte Geistesthätigkeit pflegen
und durch eine edle Bildung zu befestigen suchen,

habe, aus einigen altfranzoͤſiſchen Schaͤferroma¬
nen, Geßners Idyllen, Gellerts Luſtſpielen und
einem ſtark zerleſenen Exemplar des Muͤnchhauſen.
Zwei oder drei einzelne Baͤnde von Wieland
ſchienen aus der Stadt geliehen und nicht mehr
zuruͤckgeſchickt worden zu ſein. Man ſang Hoͤlty's
Lieder und nur die Jugend fuͤhrte etwa einen
Mathiſſon mit ſich. Der Pfarrer ſelbſt, wenn
einmal von dergleichen Dingen die Rede war,
pflegte ſeit dreißig Jahren regelmaͤßig zu fragen:
»Haben Sie Kloppſtocks Meſſias geleſen?« und
wenn das, wie natuͤrlich, bejaht wurde, ſchwieg
er vorſichtig. Ein ſteinalter Herr, welcher ſich in
ſeiner Jugend einige Zeit in Berlin umhergetrie¬
ben hatte und in der Geſellſchaft des Pfarrhauſes
allerlei ſchlechte Spaͤße uͤber den ehrwuͤrdigen
Beruf des Hausherrn zum Beſten gab, ſprach
viel von Voltaire und miſchte ein pikantes Grauen
in den unbefangenen Frohſinn der Damen. Im
Uebrigen gehoͤrten die Gaͤſte nicht zu jenen fein¬
ſten Kreiſen, welche die Cultur der herrſchenden
Intereſſen durch erhoͤhte Geiſtesthaͤtigkeit pflegen
und durch eine edle Bildung zu befeſtigen ſuchen,

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[101/0115] habe, aus einigen altfranzoͤſiſchen Schaͤferroma¬ nen, Geßners Idyllen, Gellerts Luſtſpielen und einem ſtark zerleſenen Exemplar des Muͤnchhauſen. Zwei oder drei einzelne Baͤnde von Wieland ſchienen aus der Stadt geliehen und nicht mehr zuruͤckgeſchickt worden zu ſein. Man ſang Hoͤlty's Lieder und nur die Jugend fuͤhrte etwa einen Mathiſſon mit ſich. Der Pfarrer ſelbſt, wenn einmal von dergleichen Dingen die Rede war, pflegte ſeit dreißig Jahren regelmaͤßig zu fragen: »Haben Sie Kloppſtocks Meſſias geleſen?« und wenn das, wie natuͤrlich, bejaht wurde, ſchwieg er vorſichtig. Ein ſteinalter Herr, welcher ſich in ſeiner Jugend einige Zeit in Berlin umhergetrie¬ ben hatte und in der Geſellſchaft des Pfarrhauſes allerlei ſchlechte Spaͤße uͤber den ehrwuͤrdigen Beruf des Hausherrn zum Beſten gab, ſprach viel von Voltaire und miſchte ein pikantes Grauen in den unbefangenen Frohſinn der Damen. Im Uebrigen gehoͤrten die Gaͤſte nicht zu jenen fein¬ ſten Kreiſen, welche die Cultur der herrſchenden Intereſſen durch erhoͤhte Geiſtesthaͤtigkeit pflegen und durch eine edle Bildung zu befeſtigen ſuchen,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/115>, abgerufen am 21.11.2024.