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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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Entstehungsweise des Ganzen gleicht derjenigen
eines ausführlichen und langen Briefes, welchen
man über eine vertrauliche Angelegenheit schreibt,
oft unterbrochen durch den Wechsel und Drang
des Lebens. Man läßt den Brief ganze Zeit¬
räume hindurch liegen, man wird vielfältig ein
Anderer; aber wenn man das Geschriebene wie¬
der zur Hand nimmt, fährt man genau da fort,
wo man aufgehört hatte, und wenn sich auch in
dem, was man betont oder verschweigt, der Wech¬
sel des Lebens kund thut, findet sich doch, daß
man gegen den, an welchen der Brief gerichtet,
und in dieser Sache der Alte geblieben ist. Man
hat den Brief mit einer gewissen, redseligen Breite
begonnen, welche eher von Bescheidenheit zeugt,
indem man sich kaum Stoffes genug zutraute,
um den ganzen schönen Bogen zu füllen. Bald
aber wird die Sache ernster; das Mitzutheilende
macht sich geltend und verdrängt die gemüthlich
ausgeschmückte Gesprächigkeit, und endlich zwingt
sich von selbst, und noch gedrängt durch die äuße¬
ren Ereignisse und Schicksale, nicht eine theore¬
tische, sondern im Augenblick praktische Oekonomie

Entſtehungsweiſe des Ganzen gleicht derjenigen
eines ausfuͤhrlichen und langen Briefes, welchen
man uͤber eine vertrauliche Angelegenheit ſchreibt,
oft unterbrochen durch den Wechſel und Drang
des Lebens. Man laͤßt den Brief ganze Zeit¬
raͤume hindurch liegen, man wird vielfaͤltig ein
Anderer; aber wenn man das Geſchriebene wie¬
der zur Hand nimmt, faͤhrt man genau da fort,
wo man aufgehoͤrt hatte, und wenn ſich auch in
dem, was man betont oder verſchweigt, der Wech¬
ſel des Lebens kund thut, findet ſich doch, daß
man gegen den, an welchen der Brief gerichtet,
und in dieſer Sache der Alte geblieben iſt. Man
hat den Brief mit einer gewiſſen, redſeligen Breite
begonnen, welche eher von Beſcheidenheit zeugt,
indem man ſich kaum Stoffes genug zutraute,
um den ganzen ſchoͤnen Bogen zu fuͤllen. Bald
aber wird die Sache ernſter; das Mitzutheilende
macht ſich geltend und verdraͤngt die gemuͤthlich
ausgeſchmuͤckte Geſpraͤchigkeit, und endlich zwingt
ſich von ſelbſt, und noch gedraͤngt durch die aͤuße¬
ren Ereigniſſe und Schickſale, nicht eine theore¬
tiſche, ſondern im Augenblick praktiſche Oekonomie

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[VI/0012] Entſtehungsweiſe des Ganzen gleicht derjenigen eines ausfuͤhrlichen und langen Briefes, welchen man uͤber eine vertrauliche Angelegenheit ſchreibt, oft unterbrochen durch den Wechſel und Drang des Lebens. Man laͤßt den Brief ganze Zeit¬ raͤume hindurch liegen, man wird vielfaͤltig ein Anderer; aber wenn man das Geſchriebene wie¬ der zur Hand nimmt, faͤhrt man genau da fort, wo man aufgehoͤrt hatte, und wenn ſich auch in dem, was man betont oder verſchweigt, der Wech¬ ſel des Lebens kund thut, findet ſich doch, daß man gegen den, an welchen der Brief gerichtet, und in dieſer Sache der Alte geblieben iſt. Man hat den Brief mit einer gewiſſen, redſeligen Breite begonnen, welche eher von Beſcheidenheit zeugt, indem man ſich kaum Stoffes genug zutraute, um den ganzen ſchoͤnen Bogen zu fuͤllen. Bald aber wird die Sache ernſter; das Mitzutheilende macht ſich geltend und verdraͤngt die gemuͤthlich ausgeſchmuͤckte Geſpraͤchigkeit, und endlich zwingt ſich von ſelbſt, und noch gedraͤngt durch die aͤuße¬ ren Ereigniſſe und Schickſale, nicht eine theore¬ tiſche, ſondern im Augenblick praktiſche Oekonomie

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/12>, abgerufen am 21.11.2024.