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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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bewegter Zeit, und in Versammlungen mancher
bejahrte Mann zu mir herantrat, mir die Hand
schüttelte und sagte, er sei ein Freund meines
Vaters gewesen und er freue sich, mich auch auf
dem Platze erscheinen zu sehen; als dann noch
Mehrere kamen und Jeder den "Mann" gekannt
haben und hoffen wollte, ich werde ihm würdig
nachfolgen. Ich kann mich nicht enthalten, so
sehr ich die Thorheit einsehe, oft Luftschlösser zu
bauen und zu berechnen, wie es mit mir gekom¬
men wäre, wenn mein Vater gelebt hätte und
wie mir die Welt in ihrer Kraftfülle von frühe¬
ster Jugend an zugänglich gewesen wäre; jeden
Tag hätte mich der treffliche Mann weiter ge¬
führt und würde seine zweite Jugend in mir ver¬
lebt haben. Wie mir das Zusammenleben zwischen
Brüdern eben so fremd als beneidenswerth ist
und ich nicht begreife, wie solche meistens aus¬
einander weichen und ihre Freundschaft außer¬
wärts suchen, so erscheint mir auch, ungeachtet
ich es täglich sehe, das Verhältniß zwischen einem
Vater und einem erwachsenen Sohne um so neuer,
unbegreiflicher und glückseliger, als ich Mühe

bewegter Zeit, und in Verſammlungen mancher
bejahrte Mann zu mir herantrat, mir die Hand
ſchuͤttelte und ſagte, er ſei ein Freund meines
Vaters geweſen und er freue ſich, mich auch auf
dem Platze erſcheinen zu ſehen; als dann noch
Mehrere kamen und Jeder den »Mann« gekannt
haben und hoffen wollte, ich werde ihm wuͤrdig
nachfolgen. Ich kann mich nicht enthalten, ſo
ſehr ich die Thorheit einſehe, oft Luftſchloͤſſer zu
bauen und zu berechnen, wie es mit mir gekom¬
men waͤre, wenn mein Vater gelebt haͤtte und
wie mir die Welt in ihrer Kraftfuͤlle von fruͤhe¬
ſter Jugend an zugaͤnglich geweſen waͤre; jeden
Tag haͤtte mich der treffliche Mann weiter ge¬
fuͤhrt und wuͤrde ſeine zweite Jugend in mir ver¬
lebt haben. Wie mir das Zuſammenleben zwiſchen
Bruͤdern eben ſo fremd als beneidenswerth iſt
und ich nicht begreife, wie ſolche meiſtens aus¬
einander weichen und ihre Freundſchaft außer¬
waͤrts ſuchen, ſo erſcheint mir auch, ungeachtet
ich es taͤglich ſehe, das Verhaͤltniß zwiſchen einem
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[122/0136] bewegter Zeit, und in Verſammlungen mancher bejahrte Mann zu mir herantrat, mir die Hand ſchuͤttelte und ſagte, er ſei ein Freund meines Vaters geweſen und er freue ſich, mich auch auf dem Platze erſcheinen zu ſehen; als dann noch Mehrere kamen und Jeder den »Mann« gekannt haben und hoffen wollte, ich werde ihm wuͤrdig nachfolgen. Ich kann mich nicht enthalten, ſo ſehr ich die Thorheit einſehe, oft Luftſchloͤſſer zu bauen und zu berechnen, wie es mit mir gekom¬ men waͤre, wenn mein Vater gelebt haͤtte und wie mir die Welt in ihrer Kraftfuͤlle von fruͤhe¬ ſter Jugend an zugaͤnglich geweſen waͤre; jeden Tag haͤtte mich der treffliche Mann weiter ge¬ fuͤhrt und wuͤrde ſeine zweite Jugend in mir ver¬ lebt haben. Wie mir das Zuſammenleben zwiſchen Bruͤdern eben ſo fremd als beneidenswerth iſt und ich nicht begreife, wie ſolche meiſtens aus¬ einander weichen und ihre Freundſchaft außer¬ waͤrts ſuchen, ſo erſcheint mir auch, ungeachtet ich es taͤglich ſehe, das Verhaͤltniß zwiſchen einem Vater und einem erwachſenen Sohne um ſo neuer, unbegreiflicher und gluͤckſeliger, als ich Muͤhe

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/136>, abgerufen am 21.11.2024.