Recht und kein Unrecht, und ließ Gott einen herzlich guten Mann sein, wenn meine Aufmerk¬ samkeit von ihm abgezogen wurde.
Ich fand aber bald Veranlassung, in ein bewußteres Verhältniß zu ihm zu treten und zum ersten Mal meine menschlichen Ansprüche zu ihm zu erheben, als ich, sechs Jahre alt, mich eines schönen Morgens in einen großen, melancholischen Saal versetzt sah, in welchem etwa fünfzig bis sechzig kleine Knaben und Mädchen unterrichtet wurden. In einem Halbkreise mit sieben andern Kindern um eine Tafel herum stehend, auf wel¬ cher riesige Buchstaben gemalt waren, war ich sehr still und gespannt auf die Dinge, die da kommen sollten. Da wir sämmtlich Neulinge waren, so hatte der Oberschulmeister, ein ältlicher Mann mit einem großen groben Kopfe, die erste Leitung selbst übernommen für eine Stunde und forderte uns auf, abwechselnd die sonderbaren Fi¬ guren zu benennen. Ich hatte schon seit gerau¬ mer Zeit einmal das Wort Pumpernickel gehört, und es gefiel mir ungemein, nur wußte ich durch¬ aus keine leibliche Form dafür zu finden und
Recht und kein Unrecht, und ließ Gott einen herzlich guten Mann ſein, wenn meine Aufmerk¬ ſamkeit von ihm abgezogen wurde.
Ich fand aber bald Veranlaſſung, in ein bewußteres Verhaͤltniß zu ihm zu treten und zum erſten Mal meine menſchlichen Anſpruͤche zu ihm zu erheben, als ich, ſechs Jahre alt, mich eines ſchoͤnen Morgens in einen großen, melancholiſchen Saal verſetzt ſah, in welchem etwa fuͤnfzig bis ſechzig kleine Knaben und Maͤdchen unterrichtet wurden. In einem Halbkreiſe mit ſieben andern Kindern um eine Tafel herum ſtehend, auf wel¬ cher rieſige Buchſtaben gemalt waren, war ich ſehr ſtill und geſpannt auf die Dinge, die da kommen ſollten. Da wir ſaͤmmtlich Neulinge waren, ſo hatte der Oberſchulmeiſter, ein aͤltlicher Mann mit einem großen groben Kopfe, die erſte Leitung ſelbſt uͤbernommen fuͤr eine Stunde und forderte uns auf, abwechſelnd die ſonderbaren Fi¬ guren zu benennen. Ich hatte ſchon ſeit gerau¬ mer Zeit einmal das Wort Pumpernickel gehoͤrt, und es gefiel mir ungemein, nur wußte ich durch¬ aus keine leibliche Form dafuͤr zu finden und
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0148"n="134"/>
Recht und kein Unrecht, und ließ Gott einen<lb/>
herzlich guten Mann ſein, wenn meine Aufmerk¬<lb/>ſamkeit von ihm abgezogen wurde.</p><lb/><p>Ich fand aber bald Veranlaſſung, in ein<lb/>
bewußteres Verhaͤltniß zu ihm zu treten und zum<lb/>
erſten Mal meine menſchlichen Anſpruͤche zu ihm<lb/>
zu erheben, als ich, ſechs Jahre alt, mich eines<lb/>ſchoͤnen Morgens in einen großen, melancholiſchen<lb/>
Saal verſetzt ſah, in welchem etwa fuͤnfzig bis<lb/>ſechzig kleine Knaben und Maͤdchen unterrichtet<lb/>
wurden. In einem Halbkreiſe mit ſieben andern<lb/>
Kindern um eine Tafel herum ſtehend, auf wel¬<lb/>
cher rieſige Buchſtaben gemalt waren, war ich<lb/>ſehr ſtill und geſpannt auf die Dinge, die da<lb/>
kommen ſollten. Da wir ſaͤmmtlich Neulinge<lb/>
waren, ſo hatte der Oberſchulmeiſter, ein aͤltlicher<lb/>
Mann mit einem großen groben Kopfe, die erſte<lb/>
Leitung ſelbſt uͤbernommen fuͤr eine Stunde und<lb/>
forderte uns auf, abwechſelnd die ſonderbaren Fi¬<lb/>
guren zu benennen. Ich hatte ſchon ſeit gerau¬<lb/>
mer Zeit einmal das Wort Pumpernickel gehoͤrt,<lb/>
und es gefiel mir ungemein, nur wußte ich durch¬<lb/>
aus keine leibliche Form dafuͤr zu finden und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[134/0148]
Recht und kein Unrecht, und ließ Gott einen
herzlich guten Mann ſein, wenn meine Aufmerk¬
ſamkeit von ihm abgezogen wurde.
Ich fand aber bald Veranlaſſung, in ein
bewußteres Verhaͤltniß zu ihm zu treten und zum
erſten Mal meine menſchlichen Anſpruͤche zu ihm
zu erheben, als ich, ſechs Jahre alt, mich eines
ſchoͤnen Morgens in einen großen, melancholiſchen
Saal verſetzt ſah, in welchem etwa fuͤnfzig bis
ſechzig kleine Knaben und Maͤdchen unterrichtet
wurden. In einem Halbkreiſe mit ſieben andern
Kindern um eine Tafel herum ſtehend, auf wel¬
cher rieſige Buchſtaben gemalt waren, war ich
ſehr ſtill und geſpannt auf die Dinge, die da
kommen ſollten. Da wir ſaͤmmtlich Neulinge
waren, ſo hatte der Oberſchulmeiſter, ein aͤltlicher
Mann mit einem großen groben Kopfe, die erſte
Leitung ſelbſt uͤbernommen fuͤr eine Stunde und
forderte uns auf, abwechſelnd die ſonderbaren Fi¬
guren zu benennen. Ich hatte ſchon ſeit gerau¬
mer Zeit einmal das Wort Pumpernickel gehoͤrt,
und es gefiel mir ungemein, nur wußte ich durch¬
aus keine leibliche Form dafuͤr zu finden und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/148>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.