Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.ten, sich in der Sonne spiegelnd. Die alten ten, ſich in der Sonne ſpiegelnd. Die alten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0168" n="154"/> ten, ſich in der Sonne ſpiegelnd. Die alten<lb/> Frauen pflegten dieſe Sage als Schreckmaͤnnchen<lb/> fuͤr die Kinder zu gebrauchen, wenn ſie nicht<lb/> fromm waren, und fuͤgten noch viele ſeltſame und<lb/> phantaſtiſche Zuͤge hinzu. Im Pfarrhauſe hin¬<lb/> gegen hing wirklich ein altes dunkles Oelgemaͤlde,<lb/> das Bildniß dieſes merkwuͤrdigen Kindes enthal¬<lb/> tend. Es war ein außerordentlich zartgebautes<lb/> Maͤdchen in einem blaßgruͤnen Damaſtkleide, des¬<lb/> ſen Saum in einem weiten Kreiſe ſtarrte und<lb/> die Fuͤßchen nicht ſehen ließ. Um den ſchlanken<lb/> feinen Leib war eine goldene Kette geſchlungen<lb/> und hing vorn bis auf den Boden herab. Auf<lb/> dem Haupte trug es einen kronenartigen Kopf¬<lb/> putz aus flimmernden Gold- und Silberblaͤttchen,<lb/> von ſeidenen Schnuͤren und Perlen durchflochten.<lb/> In ſeinen Haͤnden hielt das Kind den Todten¬<lb/> ſchaͤdel eines andern Kindes und eine weiße Roſe.<lb/> Noch nie habe ich aber ein ſo ſchoͤnes, liebliches<lb/> und geiſtreiches Kinderantlitz geſehen, wie das<lb/> blaſſe Geſicht dieſes Maͤdchens; es war eher<lb/> ſchmal als rund, eine tiefe Trauer lag darin, die<lb/> glaͤnzenden dunkeln Augen ſahen voll Schwer¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [154/0168]
ten, ſich in der Sonne ſpiegelnd. Die alten
Frauen pflegten dieſe Sage als Schreckmaͤnnchen
fuͤr die Kinder zu gebrauchen, wenn ſie nicht
fromm waren, und fuͤgten noch viele ſeltſame und
phantaſtiſche Zuͤge hinzu. Im Pfarrhauſe hin¬
gegen hing wirklich ein altes dunkles Oelgemaͤlde,
das Bildniß dieſes merkwuͤrdigen Kindes enthal¬
tend. Es war ein außerordentlich zartgebautes
Maͤdchen in einem blaßgruͤnen Damaſtkleide, des¬
ſen Saum in einem weiten Kreiſe ſtarrte und
die Fuͤßchen nicht ſehen ließ. Um den ſchlanken
feinen Leib war eine goldene Kette geſchlungen
und hing vorn bis auf den Boden herab. Auf
dem Haupte trug es einen kronenartigen Kopf¬
putz aus flimmernden Gold- und Silberblaͤttchen,
von ſeidenen Schnuͤren und Perlen durchflochten.
In ſeinen Haͤnden hielt das Kind den Todten¬
ſchaͤdel eines andern Kindes und eine weiße Roſe.
Noch nie habe ich aber ein ſo ſchoͤnes, liebliches
und geiſtreiches Kinderantlitz geſehen, wie das
blaſſe Geſicht dieſes Maͤdchens; es war eher
ſchmal als rund, eine tiefe Trauer lag darin, die
glaͤnzenden dunkeln Augen ſahen voll Schwer¬
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