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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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muth und wie um Hülfe flehend auf den Be¬
schauer, während um den geschlossenen Mund eine
leise Spur von Schalkheit oder lächelnder Bitter¬
keit schwebte. Ein schweres Leiden schien dem
ganzen Gesichte etwas Frühreifes und Frauen¬
haftes zu verleihen und erregte in dem Beschau¬
enden eine unwillkürliche Sehnsucht, das leben¬
dige Kind zu sehen, ihm schmeicheln und es küs¬
sen zu dürfen. Es war auch der Erinnerung des
alten Dorfes unbewußt lieb und werth, und in
den Erzählungen und Sagen von ihm war eben
so viel unwillkürliche Theilnahme als Abscheu zu
bemerken.

Die eigentliche Geschichte war nun die, daß
das kleine Mädchen, einer adeligen, stolzen und
höchst orthodoxen Familie angehörig, eine hart¬
näckige Abneigung gegen Gebet und Gottesdienst
jeder Art zeigte, die Gebetbücher zerriß, welche
man ihm gab, im Bette den Kopf in die Decke
hüllte, wenn man ihm vorbetete, und kläglich zu
schreien anfing, wenn man es in die düstere,
kalte Kirche brachte, wo es sich vor dem schwar¬
zen Manne auf der Kanzel zu fürchten vorgab.

muth und wie um Huͤlfe flehend auf den Be¬
ſchauer, waͤhrend um den geſchloſſenen Mund eine
leiſe Spur von Schalkheit oder laͤchelnder Bitter¬
keit ſchwebte. Ein ſchweres Leiden ſchien dem
ganzen Geſichte etwas Fruͤhreifes und Frauen¬
haftes zu verleihen und erregte in dem Beſchau¬
enden eine unwillkuͤrliche Sehnſucht, das leben¬
dige Kind zu ſehen, ihm ſchmeicheln und es kuͤſ¬
ſen zu duͤrfen. Es war auch der Erinnerung des
alten Dorfes unbewußt lieb und werth, und in
den Erzaͤhlungen und Sagen von ihm war eben
ſo viel unwillkuͤrliche Theilnahme als Abſcheu zu
bemerken.

Die eigentliche Geſchichte war nun die, daß
das kleine Maͤdchen, einer adeligen, ſtolzen und
hoͤchſt orthodoxen Familie angehoͤrig, eine hart¬
naͤckige Abneigung gegen Gebet und Gottesdienſt
jeder Art zeigte, die Gebetbuͤcher zerriß, welche
man ihm gab, im Bette den Kopf in die Decke
huͤllte, wenn man ihm vorbetete, und klaͤglich zu
ſchreien anfing, wenn man es in die duͤſtere,
kalte Kirche brachte, wo es ſich vor dem ſchwar¬
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[155/0169] muth und wie um Huͤlfe flehend auf den Be¬ ſchauer, waͤhrend um den geſchloſſenen Mund eine leiſe Spur von Schalkheit oder laͤchelnder Bitter¬ keit ſchwebte. Ein ſchweres Leiden ſchien dem ganzen Geſichte etwas Fruͤhreifes und Frauen¬ haftes zu verleihen und erregte in dem Beſchau¬ enden eine unwillkuͤrliche Sehnſucht, das leben¬ dige Kind zu ſehen, ihm ſchmeicheln und es kuͤſ¬ ſen zu duͤrfen. Es war auch der Erinnerung des alten Dorfes unbewußt lieb und werth, und in den Erzaͤhlungen und Sagen von ihm war eben ſo viel unwillkuͤrliche Theilnahme als Abſcheu zu bemerken. Die eigentliche Geſchichte war nun die, daß das kleine Maͤdchen, einer adeligen, ſtolzen und hoͤchſt orthodoxen Familie angehoͤrig, eine hart¬ naͤckige Abneigung gegen Gebet und Gottesdienſt jeder Art zeigte, die Gebetbuͤcher zerriß, welche man ihm gab, im Bette den Kopf in die Decke huͤllte, wenn man ihm vorbetete, und klaͤglich zu ſchreien anfing, wenn man es in die duͤſtere, kalte Kirche brachte, wo es ſich vor dem ſchwar¬ zen Manne auf der Kanzel zu fuͤrchten vorgab.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/169>, abgerufen am 21.11.2024.