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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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nicht nach der Stadt spediren, sondern hier be¬
halten. Es ist Schad um die brave Arbeit, so
der Mahler gemacht hat, weil er ganz charmi¬
ret
war von der Anmuth des Kinds. Hätt' ich
es früher gewußt, so hätt' der Mann für diesen
Kostenaufwand mein eigen Conterfey auf das
Tuch mahlen können, wenn die schönen Victua¬
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nebst Lohn einmal drauff gehen sollen.

Es ist mir fernerer Befelch zu Handen ge¬
kommen, mit aller weltlichen Instruction abzu¬
brechen, besonders mit dem Französischen, da sol¬
ches nicht mehr nöthig erachtet werde, so wie
auch meine Gemahlin mit dem Unterricht auf
dem Spinett aufhören solle, was der Kleinen
leid zu thun scheinet. Vielmehr soll ich sie fortan
als ein einfaches Pflegekind tractiren und allein
fürsorgen, daß sie kein öffentlich Aergerniß gebe."

"Vorgestern ist uns die kleine Meret deser¬
tiret
und haben wir große Angst empfunden, bis
daß sie heute Mittag um 12 Uhr zu obrist auf
dem Buchberge ausgespüret wurde, wo sie ent¬
kleidet auf ihrem Bußhabit an der Sonne saß
und sich baß wärmete. Sie hatte ihr Haar ganz

nicht nach der Stadt spediren, ſondern hier be¬
halten. Es iſt Schad um die brave Arbeit, ſo
der Mahler gemacht hat, weil er ganz charmi¬
ret
war von der Anmuth des Kinds. Haͤtt' ich
es fruͤher gewußt, ſo haͤtt' der Mann fuͤr dieſen
Koſtenaufwand mein eigen Conterfey auf das
Tuch mahlen koͤnnen, wenn die ſchoͤnen Victua¬
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nebſt Lohn einmal drauff gehen ſollen.

Es iſt mir fernerer Befelch zu Handen ge¬
kommen, mit aller weltlichen Instruction abzu¬
brechen, beſonders mit dem Franzoͤſiſchen, da ſol¬
ches nicht mehr noͤthig erachtet werde, ſo wie
auch meine Gemahlin mit dem Unterricht auf
dem Spinett aufhoͤren ſolle, was der Kleinen
leid zu thun ſcheinet. Vielmehr ſoll ich ſie fortan
als ein einfaches Pflegekind tractiren und allein
fuͤrſorgen, daß ſie kein oͤffentlich Aergerniß gebe.«

»Vorgeſtern iſt uns die kleine Meret deser¬
tiret
und haben wir große Angſt empfunden, bis
daß ſie heute Mittag um 12 Uhr zu obriſt auf
dem Buchberge ausgeſpuͤret wurde, wo ſie ent¬
kleidet auf ihrem Bußhabit an der Sonne ſaß
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[163/0177] nicht nach der Stadt spediren, ſondern hier be¬ halten. Es iſt Schad um die brave Arbeit, ſo der Mahler gemacht hat, weil er ganz charmi¬ ret war von der Anmuth des Kinds. Haͤtt' ich es fruͤher gewußt, ſo haͤtt' der Mann fuͤr dieſen Koſtenaufwand mein eigen Conterfey auf das Tuch mahlen koͤnnen, wenn die ſchoͤnen Victua¬ lien nebſt Lohn einmal drauff gehen ſollen. Es iſt mir fernerer Befelch zu Handen ge¬ kommen, mit aller weltlichen Instruction abzu¬ brechen, beſonders mit dem Franzoͤſiſchen, da ſol¬ ches nicht mehr noͤthig erachtet werde, ſo wie auch meine Gemahlin mit dem Unterricht auf dem Spinett aufhoͤren ſolle, was der Kleinen leid zu thun ſcheinet. Vielmehr ſoll ich ſie fortan als ein einfaches Pflegekind tractiren und allein fuͤrſorgen, daß ſie kein oͤffentlich Aergerniß gebe.« »Vorgeſtern iſt uns die kleine Meret deser¬ tiret und haben wir große Angſt empfunden, bis daß ſie heute Mittag um 12 Uhr zu obriſt auf dem Buchberge ausgeſpuͤret wurde, wo ſie ent¬ kleidet auf ihrem Bußhabit an der Sonne ſaß und ſich baß waͤrmete. Sie hatte ihr Haar ganz

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/177>, abgerufen am 21.11.2024.