Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

hatte ohne Unterschied Alles, was gedruckt war,
sowohl wie die mündlichen Ueberlieferungen des
Volkes, eine gewisse Wahrheit, und die ganze
Welt in allen ihren Spiegelungen, das fernste so¬
wohl wie ihr eigenes Leben, waren ihr gleich
wunderbar und bedeutungsvoll; sie trug noch den
lebendigen ungebrochenen Aberglauben vergangener
kräftiger Zeiten an sich ohne Verfeinerung und
Schliff. Mit neugieriger Liebe erfaßte sie Alles
und nahm es als baare Münze, was ihrer wo¬
genden Phantasie dargeboten wurde, und sie be¬
kleidete es alsbald mit den sinnlich greifbaren
Formen der Volksthümlichkeit, welche massiven
metallenen Gefäßen gleichen, die trotz ihres hohen
Alters durch den stäten Gebrauch immer glän¬
zend geblieben sind. Alle die Götter und Götzen
der alten und jetzigen heidnischen Völker beschäf¬
tigten sie durch ihre Geschichte sowohl, als durch
ihr äußeres Aussehen in den Abbildungen, haupt¬
sächlich auch daher, daß sie dieselben für wirk¬
liche lebendige Wesen hielt, welche durch den
wahren Gott bekämpft und ausgerottet würden;
das Spuken und Umgehen solcher halb über¬

hatte ohne Unterſchied Alles, was gedruckt war,
ſowohl wie die muͤndlichen Ueberlieferungen des
Volkes, eine gewiſſe Wahrheit, und die ganze
Welt in allen ihren Spiegelungen, das fernſte ſo¬
wohl wie ihr eigenes Leben, waren ihr gleich
wunderbar und bedeutungsvoll; ſie trug noch den
lebendigen ungebrochenen Aberglauben vergangener
kraͤftiger Zeiten an ſich ohne Verfeinerung und
Schliff. Mit neugieriger Liebe erfaßte ſie Alles
und nahm es als baare Muͤnze, was ihrer wo¬
genden Phantaſie dargeboten wurde, und ſie be¬
kleidete es alsbald mit den ſinnlich greifbaren
Formen der Volksthuͤmlichkeit, welche maſſiven
metallenen Gefaͤßen gleichen, die trotz ihres hohen
Alters durch den ſtaͤten Gebrauch immer glaͤn¬
zend geblieben ſind. Alle die Goͤtter und Goͤtzen
der alten und jetzigen heidniſchen Voͤlker beſchaͤf¬
tigten ſie durch ihre Geſchichte ſowohl, als durch
ihr aͤußeres Ausſehen in den Abbildungen, haupt¬
ſaͤchlich auch daher, daß ſie dieſelben fuͤr wirk¬
liche lebendige Weſen hielt, welche durch den
wahren Gott bekaͤmpft und ausgerottet wuͤrden;
das Spuken und Umgehen ſolcher halb uͤber¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0196" n="182"/>
hatte ohne Unter&#x017F;chied Alles, was gedruckt war,<lb/>
&#x017F;owohl wie die mu&#x0364;ndlichen Ueberlieferungen des<lb/>
Volkes, eine gewi&#x017F;&#x017F;e Wahrheit, und die ganze<lb/>
Welt in allen ihren Spiegelungen, das fern&#x017F;te &#x017F;<lb/>
wohl wie ihr eigenes Leben, waren ihr gleich<lb/>
wunderbar und bedeutungsvoll; &#x017F;ie trug noch den<lb/>
lebendigen ungebrochenen Aberglauben vergangener<lb/>
kra&#x0364;ftiger Zeiten an &#x017F;ich ohne Verfeinerung und<lb/>
Schliff. Mit neugieriger Liebe erfaßte &#x017F;ie Alles<lb/>
und nahm es als baare Mu&#x0364;nze, was ihrer wo¬<lb/>
genden Phanta&#x017F;ie dargeboten wurde, und &#x017F;ie be¬<lb/>
kleidete es alsbald mit den &#x017F;innlich greifbaren<lb/>
Formen der Volksthu&#x0364;mlichkeit, welche ma&#x017F;&#x017F;iven<lb/>
metallenen Gefa&#x0364;ßen gleichen, die trotz ihres hohen<lb/>
Alters durch den &#x017F;ta&#x0364;ten Gebrauch immer gla&#x0364;<lb/>
zend geblieben &#x017F;ind. Alle die Go&#x0364;tter und Go&#x0364;tzen<lb/>
der alten und jetzigen heidni&#x017F;chen Vo&#x0364;lker be&#x017F;cha&#x0364;<lb/>
tigten &#x017F;ie durch ihre Ge&#x017F;chichte &#x017F;owohl, als durch<lb/>
ihr a&#x0364;ußeres Aus&#x017F;ehen in den Abbildungen, haupt¬<lb/>
&#x017F;a&#x0364;chlich auch daher, daß &#x017F;ie die&#x017F;elben fu&#x0364;r wirk¬<lb/>
liche lebendige We&#x017F;en hielt, welche durch den<lb/>
wahren Gott beka&#x0364;mpft und ausgerottet wu&#x0364;rden;<lb/>
das Spuken und Umgehen &#x017F;olcher halb u&#x0364;ber¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0196] hatte ohne Unterſchied Alles, was gedruckt war, ſowohl wie die muͤndlichen Ueberlieferungen des Volkes, eine gewiſſe Wahrheit, und die ganze Welt in allen ihren Spiegelungen, das fernſte ſo¬ wohl wie ihr eigenes Leben, waren ihr gleich wunderbar und bedeutungsvoll; ſie trug noch den lebendigen ungebrochenen Aberglauben vergangener kraͤftiger Zeiten an ſich ohne Verfeinerung und Schliff. Mit neugieriger Liebe erfaßte ſie Alles und nahm es als baare Muͤnze, was ihrer wo¬ genden Phantaſie dargeboten wurde, und ſie be¬ kleidete es alsbald mit den ſinnlich greifbaren Formen der Volksthuͤmlichkeit, welche maſſiven metallenen Gefaͤßen gleichen, die trotz ihres hohen Alters durch den ſtaͤten Gebrauch immer glaͤn¬ zend geblieben ſind. Alle die Goͤtter und Goͤtzen der alten und jetzigen heidniſchen Voͤlker beſchaͤf¬ tigten ſie durch ihre Geſchichte ſowohl, als durch ihr aͤußeres Ausſehen in den Abbildungen, haupt¬ ſaͤchlich auch daher, daß ſie dieſelben fuͤr wirk¬ liche lebendige Weſen hielt, welche durch den wahren Gott bekaͤmpft und ausgerottet wuͤrden; das Spuken und Umgehen ſolcher halb uͤber¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/196
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/196>, abgerufen am 21.11.2024.