Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

wie es kam, daß ich mich plötzlich am Tage oft
in dem kurzweiligen Gewölbe mitten unter den
Geschäftigen und am Abend zu den Füßen der
Frau sitzen fand, welche mich in große Gunst
genommen hatte. Ich zeichnete mich durch meine
große Aufmerksamkeit aus, wenn die wunder¬
barsten Dinge von der Welt zur Sprache kamen.
Die theologischen und moralischen Untersuchungen
verstand ich freilich in den ersten Jahren noch
nicht, obschon sie oft kindlich genug waren;
jedoch nahmen sie auch schon damals nicht zu
viele Zeit in Anspruch, da sich die Gesellschaft
immer bald genug auf das Gebiet der Begeben¬
heiten und sinnlichen Erfahrungen, und damit auf
eine Art von naturphilosophischem Feld hinüber
verfügte, wo ich ebenfalls zu Hause war. Man
suchte vorzüglich die Erscheinungen der Geister¬
welt, so wie die Ahnungen, Träume u. s. w. in
lebendigen Zusammenhang zu bringen, und drang
mit neugierigem Sinne in die geheimnißvollen
Localitäten des gestirnten Himmels, in die Tiefe
des Meers und der feuerspeienden Berge, von
denen man hörte, und Alles wurde zuletzt auf

wie es kam, daß ich mich ploͤtzlich am Tage oft
in dem kurzweiligen Gewoͤlbe mitten unter den
Geſchaͤftigen und am Abend zu den Fuͤßen der
Frau ſitzen fand, welche mich in große Gunſt
genommen hatte. Ich zeichnete mich durch meine
große Aufmerkſamkeit aus, wenn die wunder¬
barſten Dinge von der Welt zur Sprache kamen.
Die theologiſchen und moraliſchen Unterſuchungen
verſtand ich freilich in den erſten Jahren noch
nicht, obſchon ſie oft kindlich genug waren;
jedoch nahmen ſie auch ſchon damals nicht zu
viele Zeit in Anſpruch, da ſich die Geſellſchaft
immer bald genug auf das Gebiet der Begeben¬
heiten und ſinnlichen Erfahrungen, und damit auf
eine Art von naturphiloſophiſchem Feld hinuͤber
verfuͤgte, wo ich ebenfalls zu Hauſe war. Man
ſuchte vorzuͤglich die Erſcheinungen der Geiſter¬
welt, ſo wie die Ahnungen, Traͤume u. ſ. w. in
lebendigen Zuſammenhang zu bringen, und drang
mit neugierigem Sinne in die geheimnißvollen
Localitaͤten des geſtirnten Himmels, in die Tiefe
des Meers und der feuerſpeienden Berge, von
denen man hoͤrte, und Alles wurde zuletzt auf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0206" n="192"/>
wie es kam, daß ich mich plo&#x0364;tzlich am Tage oft<lb/>
in dem kurzweiligen Gewo&#x0364;lbe mitten unter den<lb/>
Ge&#x017F;cha&#x0364;ftigen und am Abend zu den Fu&#x0364;ßen der<lb/>
Frau &#x017F;itzen fand, welche mich in große Gun&#x017F;t<lb/>
genommen hatte. Ich zeichnete mich durch meine<lb/>
große Aufmerk&#x017F;amkeit aus, wenn die wunder¬<lb/>
bar&#x017F;ten Dinge von der Welt zur Sprache kamen.<lb/>
Die theologi&#x017F;chen und morali&#x017F;chen Unter&#x017F;uchungen<lb/>
ver&#x017F;tand ich freilich in den er&#x017F;ten Jahren noch<lb/>
nicht, ob&#x017F;chon &#x017F;ie oft kindlich genug waren;<lb/>
jedoch nahmen &#x017F;ie auch &#x017F;chon damals nicht zu<lb/>
viele Zeit in An&#x017F;pruch, da &#x017F;ich die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
immer bald genug auf das Gebiet der Begeben¬<lb/>
heiten und &#x017F;innlichen Erfahrungen, und damit auf<lb/>
eine Art von naturphilo&#x017F;ophi&#x017F;chem Feld hinu&#x0364;ber<lb/>
verfu&#x0364;gte, wo ich ebenfalls zu Hau&#x017F;e war. Man<lb/>
&#x017F;uchte vorzu&#x0364;glich die Er&#x017F;cheinungen der Gei&#x017F;ter¬<lb/>
welt, &#x017F;o wie die Ahnungen, Tra&#x0364;ume u. &#x017F;. w. in<lb/>
lebendigen Zu&#x017F;ammenhang zu bringen, und drang<lb/>
mit neugierigem Sinne in die geheimnißvollen<lb/>
Localita&#x0364;ten des ge&#x017F;tirnten Himmels, in die Tiefe<lb/>
des Meers und der feuer&#x017F;peienden Berge, von<lb/>
denen man ho&#x0364;rte, und Alles wurde zuletzt auf<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[192/0206] wie es kam, daß ich mich ploͤtzlich am Tage oft in dem kurzweiligen Gewoͤlbe mitten unter den Geſchaͤftigen und am Abend zu den Fuͤßen der Frau ſitzen fand, welche mich in große Gunſt genommen hatte. Ich zeichnete mich durch meine große Aufmerkſamkeit aus, wenn die wunder¬ barſten Dinge von der Welt zur Sprache kamen. Die theologiſchen und moraliſchen Unterſuchungen verſtand ich freilich in den erſten Jahren noch nicht, obſchon ſie oft kindlich genug waren; jedoch nahmen ſie auch ſchon damals nicht zu viele Zeit in Anſpruch, da ſich die Geſellſchaft immer bald genug auf das Gebiet der Begeben¬ heiten und ſinnlichen Erfahrungen, und damit auf eine Art von naturphiloſophiſchem Feld hinuͤber verfuͤgte, wo ich ebenfalls zu Hauſe war. Man ſuchte vorzuͤglich die Erſcheinungen der Geiſter¬ welt, ſo wie die Ahnungen, Traͤume u. ſ. w. in lebendigen Zuſammenhang zu bringen, und drang mit neugierigem Sinne in die geheimnißvollen Localitaͤten des geſtirnten Himmels, in die Tiefe des Meers und der feuerſpeienden Berge, von denen man hoͤrte, und Alles wurde zuletzt auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/206
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/206>, abgerufen am 24.11.2024.