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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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Ihre Augen funkelten stechend unter den dürftig
aufgeputzten Sonntagshauben hervor, wenn sie
mit langen Schritten, die vollgepfropften Bün¬
del unter dem Arme, aus dem Thore zogen und
sich grollend auf den Scheidewegen trennten, um
den entlegenen Hütten zuzueilen.

Solcherweise ging es viele Jahre, bis die
alte Frau Margreth mit den Sterben den An¬
fang machte und in jenes fabelhafte Reich der
Geister und Gespenster selber hinüberging. Sie
hinterließ unerwarteter Weise ein Testament,
welches einen einzelnen jungen Mann zum allei¬
nigen Erben einsetzte; es war der letzte und
jüngste jener Günstlinge, an deren Gewandtheit
und Wohlergehen sie ihre Freude gehabt hatte,
und sie war mit der Ueberzeugung gestorben,
daß ihr gutes Gold nicht in ungeweihte Hände
übergehe, sondern die Kraft und die Lust tüch¬
tiger Leute sein werde. Bei ihrem Leichenbegäng¬
nisse fanden sich sämmtliche Verwandte beider
Ehegatten ein, und es war ein großes Geheul
und Gelärm, als sie sich also getäuscht fanden.
Sie vereinigten sich in ihrem Zorne alle gegen

Ihre Augen funkelten ſtechend unter den duͤrftig
aufgeputzten Sonntagshauben hervor, wenn ſie
mit langen Schritten, die vollgepfropften Buͤn¬
del unter dem Arme, aus dem Thore zogen und
ſich grollend auf den Scheidewegen trennten, um
den entlegenen Huͤtten zuzueilen.

Solcherweiſe ging es viele Jahre, bis die
alte Frau Margreth mit den Sterben den An¬
fang machte und in jenes fabelhafte Reich der
Geiſter und Geſpenſter ſelber hinuͤberging. Sie
hinterließ unerwarteter Weiſe ein Teſtament,
welches einen einzelnen jungen Mann zum allei¬
nigen Erben einſetzte; es war der letzte und
juͤngſte jener Guͤnſtlinge, an deren Gewandtheit
und Wohlergehen ſie ihre Freude gehabt hatte,
und ſie war mit der Ueberzeugung geſtorben,
daß ihr gutes Gold nicht in ungeweihte Haͤnde
uͤbergehe, ſondern die Kraft und die Luſt tuͤch¬
tiger Leute ſein werde. Bei ihrem Leichenbegaͤng¬
niſſe fanden ſich ſaͤmmtliche Verwandte beider
Ehegatten ein, und es war ein großes Geheul
und Gelaͤrm, als ſie ſich alſo getaͤuſcht fanden.
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[213/0227] Ihre Augen funkelten ſtechend unter den duͤrftig aufgeputzten Sonntagshauben hervor, wenn ſie mit langen Schritten, die vollgepfropften Buͤn¬ del unter dem Arme, aus dem Thore zogen und ſich grollend auf den Scheidewegen trennten, um den entlegenen Huͤtten zuzueilen. Solcherweiſe ging es viele Jahre, bis die alte Frau Margreth mit den Sterben den An¬ fang machte und in jenes fabelhafte Reich der Geiſter und Geſpenſter ſelber hinuͤberging. Sie hinterließ unerwarteter Weiſe ein Teſtament, welches einen einzelnen jungen Mann zum allei¬ nigen Erben einſetzte; es war der letzte und juͤngſte jener Guͤnſtlinge, an deren Gewandtheit und Wohlergehen ſie ihre Freude gehabt hatte, und ſie war mit der Ueberzeugung geſtorben, daß ihr gutes Gold nicht in ungeweihte Haͤnde uͤbergehe, ſondern die Kraft und die Luſt tuͤch¬ tiger Leute ſein werde. Bei ihrem Leichenbegaͤng¬ niſſe fanden ſich ſaͤmmtliche Verwandte beider Ehegatten ein, und es war ein großes Geheul und Gelaͤrm, als ſie ſich alſo getaͤuſcht fanden. Sie vereinigten ſich in ihrem Zorne alle gegen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/227>, abgerufen am 21.11.2024.