Ihre Augen funkelten stechend unter den dürftig aufgeputzten Sonntagshauben hervor, wenn sie mit langen Schritten, die vollgepfropften Bün¬ del unter dem Arme, aus dem Thore zogen und sich grollend auf den Scheidewegen trennten, um den entlegenen Hütten zuzueilen.
Solcherweise ging es viele Jahre, bis die alte Frau Margreth mit den Sterben den An¬ fang machte und in jenes fabelhafte Reich der Geister und Gespenster selber hinüberging. Sie hinterließ unerwarteter Weise ein Testament, welches einen einzelnen jungen Mann zum allei¬ nigen Erben einsetzte; es war der letzte und jüngste jener Günstlinge, an deren Gewandtheit und Wohlergehen sie ihre Freude gehabt hatte, und sie war mit der Ueberzeugung gestorben, daß ihr gutes Gold nicht in ungeweihte Hände übergehe, sondern die Kraft und die Lust tüch¬ tiger Leute sein werde. Bei ihrem Leichenbegäng¬ nisse fanden sich sämmtliche Verwandte beider Ehegatten ein, und es war ein großes Geheul und Gelärm, als sie sich also getäuscht fanden. Sie vereinigten sich in ihrem Zorne alle gegen
Ihre Augen funkelten ſtechend unter den duͤrftig aufgeputzten Sonntagshauben hervor, wenn ſie mit langen Schritten, die vollgepfropften Buͤn¬ del unter dem Arme, aus dem Thore zogen und ſich grollend auf den Scheidewegen trennten, um den entlegenen Huͤtten zuzueilen.
Solcherweiſe ging es viele Jahre, bis die alte Frau Margreth mit den Sterben den An¬ fang machte und in jenes fabelhafte Reich der Geiſter und Geſpenſter ſelber hinuͤberging. Sie hinterließ unerwarteter Weiſe ein Teſtament, welches einen einzelnen jungen Mann zum allei¬ nigen Erben einſetzte; es war der letzte und juͤngſte jener Guͤnſtlinge, an deren Gewandtheit und Wohlergehen ſie ihre Freude gehabt hatte, und ſie war mit der Ueberzeugung geſtorben, daß ihr gutes Gold nicht in ungeweihte Haͤnde uͤbergehe, ſondern die Kraft und die Luſt tuͤch¬ tiger Leute ſein werde. Bei ihrem Leichenbegaͤng¬ niſſe fanden ſich ſaͤmmtliche Verwandte beider Ehegatten ein, und es war ein großes Geheul und Gelaͤrm, als ſie ſich alſo getaͤuſcht fanden. Sie vereinigten ſich in ihrem Zorne alle gegen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0227"n="213"/>
Ihre Augen funkelten ſtechend unter den duͤrftig<lb/>
aufgeputzten Sonntagshauben hervor, wenn ſie<lb/>
mit langen Schritten, die vollgepfropften Buͤn¬<lb/>
del unter dem Arme, aus dem Thore zogen und<lb/>ſich grollend auf den Scheidewegen trennten, um<lb/>
den entlegenen Huͤtten zuzueilen.</p><lb/><p>Solcherweiſe ging es viele Jahre, bis die<lb/>
alte Frau Margreth mit den Sterben den An¬<lb/>
fang machte und in jenes fabelhafte Reich der<lb/>
Geiſter und Geſpenſter ſelber hinuͤberging. Sie<lb/>
hinterließ unerwarteter Weiſe ein Teſtament,<lb/>
welches einen einzelnen jungen Mann zum allei¬<lb/>
nigen Erben einſetzte; es war der letzte und<lb/>
juͤngſte jener Guͤnſtlinge, an deren Gewandtheit<lb/>
und Wohlergehen ſie ihre Freude gehabt hatte,<lb/>
und ſie war mit der Ueberzeugung geſtorben,<lb/>
daß ihr gutes Gold nicht in ungeweihte Haͤnde<lb/>
uͤbergehe, ſondern die Kraft und die Luſt tuͤch¬<lb/>
tiger Leute ſein werde. Bei ihrem Leichenbegaͤng¬<lb/>
niſſe fanden ſich ſaͤmmtliche Verwandte beider<lb/>
Ehegatten ein, und es war ein großes Geheul<lb/>
und Gelaͤrm, als ſie ſich alſo getaͤuſcht fanden.<lb/>
Sie vereinigten ſich in ihrem Zorne alle gegen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[213/0227]
Ihre Augen funkelten ſtechend unter den duͤrftig
aufgeputzten Sonntagshauben hervor, wenn ſie
mit langen Schritten, die vollgepfropften Buͤn¬
del unter dem Arme, aus dem Thore zogen und
ſich grollend auf den Scheidewegen trennten, um
den entlegenen Huͤtten zuzueilen.
Solcherweiſe ging es viele Jahre, bis die
alte Frau Margreth mit den Sterben den An¬
fang machte und in jenes fabelhafte Reich der
Geiſter und Geſpenſter ſelber hinuͤberging. Sie
hinterließ unerwarteter Weiſe ein Teſtament,
welches einen einzelnen jungen Mann zum allei¬
nigen Erben einſetzte; es war der letzte und
juͤngſte jener Guͤnſtlinge, an deren Gewandtheit
und Wohlergehen ſie ihre Freude gehabt hatte,
und ſie war mit der Ueberzeugung geſtorben,
daß ihr gutes Gold nicht in ungeweihte Haͤnde
uͤbergehe, ſondern die Kraft und die Luſt tuͤch¬
tiger Leute ſein werde. Bei ihrem Leichenbegaͤng¬
niſſe fanden ſich ſaͤmmtliche Verwandte beider
Ehegatten ein, und es war ein großes Geheul
und Gelaͤrm, als ſie ſich alſo getaͤuſcht fanden.
Sie vereinigten ſich in ihrem Zorne alle gegen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/227>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.