nischen Lettern erklären zu können, sowie die arabischen Zahlen, die sie nie verstehen lernte. Ich verfertigte ihr auch allerlei Notizen in Frac¬ turschrift auf Papierzettel, welche sie aufbewahren und bequem lesen konnte, und ward auf diese Weise ihr kleiner Geheimschreiber. Schon sah sie, die mich für ein großes Genie hielt, einen ihrer zukünftigen, klugen Glückmacher in mir und war im Voraus meiner glänzenden Lauf¬ bahn froh. Wirklich machte mir das Lernen weder Mühe noch Kummer, und ich war, ohne zu wissen wie, zu der Würde herangediehen, die kleineren Genossen unterrichten zu dürfen. Die¬ ses gerieth mir zu einer neuen Lust, vorzüglich weil ich, ausgerüstet mit der Macht zu lohnen und zu strafen, kleine Schicksale combiniren, Lächeln und Thränen, Freund- und Feindschaft hervorzaubern konnte. Sogar die Frauenliebe spielte ihre ersten schwachen Morgenwölkchen da¬ zwischen. Wenn ich in einem Halbkreise von neun bis zehn kleinen Mädchen saß, so war der erste ehrenvollste Platz bald zunächst meiner Seite, bald war es der letzte, je nach der
niſchen Lettern erklaͤren zu koͤnnen, ſowie die arabiſchen Zahlen, die ſie nie verſtehen lernte. Ich verfertigte ihr auch allerlei Notizen in Frac¬ turſchrift auf Papierzettel, welche ſie aufbewahren und bequem leſen konnte, und ward auf dieſe Weiſe ihr kleiner Geheimſchreiber. Schon ſah ſie, die mich fuͤr ein großes Genie hielt, einen ihrer zukuͤnftigen, klugen Gluͤckmacher in mir und war im Voraus meiner glaͤnzenden Lauf¬ bahn froh. Wirklich machte mir das Lernen weder Muͤhe noch Kummer, und ich war, ohne zu wiſſen wie, zu der Wuͤrde herangediehen, die kleineren Genoſſen unterrichten zu duͤrfen. Die¬ ſes gerieth mir zu einer neuen Luſt, vorzuͤglich weil ich, ausgeruͤſtet mit der Macht zu lohnen und zu ſtrafen, kleine Schickſale combiniren, Laͤcheln und Thraͤnen, Freund- und Feindſchaft hervorzaubern konnte. Sogar die Frauenliebe ſpielte ihre erſten ſchwachen Morgenwoͤlkchen da¬ zwiſchen. Wenn ich in einem Halbkreiſe von neun bis zehn kleinen Maͤdchen ſaß, ſo war der erſte ehrenvollſte Platz bald zunaͤchſt meiner Seite, bald war es der letzte, je nach der
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0247"n="233"/>
niſchen Lettern erklaͤren zu koͤnnen, ſowie die<lb/>
arabiſchen Zahlen, die ſie nie verſtehen lernte.<lb/>
Ich verfertigte ihr auch allerlei Notizen in Frac¬<lb/>
turſchrift auf Papierzettel, welche ſie aufbewahren<lb/>
und bequem leſen konnte, und ward auf dieſe<lb/>
Weiſe ihr kleiner Geheimſchreiber. Schon ſah<lb/>ſie, die mich fuͤr ein großes Genie hielt, einen<lb/>
ihrer zukuͤnftigen, klugen Gluͤckmacher in mir<lb/>
und war im Voraus meiner glaͤnzenden Lauf¬<lb/>
bahn froh. Wirklich machte mir das Lernen<lb/>
weder Muͤhe noch Kummer, und ich war, ohne<lb/>
zu wiſſen wie, zu der Wuͤrde herangediehen, die<lb/>
kleineren Genoſſen unterrichten zu duͤrfen. Die¬<lb/>ſes gerieth mir zu einer neuen Luſt, vorzuͤglich<lb/>
weil ich, ausgeruͤſtet mit der Macht zu lohnen<lb/>
und zu ſtrafen, kleine Schickſale combiniren,<lb/>
Laͤcheln und Thraͤnen, Freund- und Feindſchaft<lb/>
hervorzaubern konnte. Sogar die Frauenliebe<lb/>ſpielte ihre erſten ſchwachen Morgenwoͤlkchen da¬<lb/>
zwiſchen. Wenn ich in einem Halbkreiſe von<lb/>
neun bis zehn kleinen Maͤdchen ſaß, ſo war der<lb/>
erſte ehrenvollſte Platz bald zunaͤchſt meiner<lb/>
Seite, bald war es der letzte, je nach der<lb/></p></div></body></text></TEI>
[233/0247]
niſchen Lettern erklaͤren zu koͤnnen, ſowie die
arabiſchen Zahlen, die ſie nie verſtehen lernte.
Ich verfertigte ihr auch allerlei Notizen in Frac¬
turſchrift auf Papierzettel, welche ſie aufbewahren
und bequem leſen konnte, und ward auf dieſe
Weiſe ihr kleiner Geheimſchreiber. Schon ſah
ſie, die mich fuͤr ein großes Genie hielt, einen
ihrer zukuͤnftigen, klugen Gluͤckmacher in mir
und war im Voraus meiner glaͤnzenden Lauf¬
bahn froh. Wirklich machte mir das Lernen
weder Muͤhe noch Kummer, und ich war, ohne
zu wiſſen wie, zu der Wuͤrde herangediehen, die
kleineren Genoſſen unterrichten zu duͤrfen. Die¬
ſes gerieth mir zu einer neuen Luſt, vorzuͤglich
weil ich, ausgeruͤſtet mit der Macht zu lohnen
und zu ſtrafen, kleine Schickſale combiniren,
Laͤcheln und Thraͤnen, Freund- und Feindſchaft
hervorzaubern konnte. Sogar die Frauenliebe
ſpielte ihre erſten ſchwachen Morgenwoͤlkchen da¬
zwiſchen. Wenn ich in einem Halbkreiſe von
neun bis zehn kleinen Maͤdchen ſaß, ſo war der
erſte ehrenvollſte Platz bald zunaͤchſt meiner
Seite, bald war es der letzte, je nach der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/247>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.