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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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Gegend in dem großen Saale. So geschah es,
daß ich die Mädchen, welche ich gern sah, ent¬
weder fortwährend oben hielt in der Region des
Ruhmes und der Tugend, oder aber sie stets
niederdrückte in die dunkle Sphäre der Sünde
und der Vergessenheit, in beiden Fällen immer
zunächst meinem tyrannischen Herzen. Dieses
aber ward selbst reichlich mitbewegt, wenn ich
oft von der ohne Verdienst erhobenen Schönen
kein Lächeln des Dankes erhielt, wenn sie die
unverdiente Ehre hinnahm, als ob sie ihr ge¬
bührte und es mir durch muthwillige rücksichts¬
lose Streiche unendlich erschwerte, sie auf der
glatten Höhe zu halten ohne auffallende Unge¬
rechtigkeit. Wenn ich hingegen eine andere Ge¬
liebte, jede kleine Unaufmerksamkeit benutzend,
nach und nach heruntergebracht hatte bis auf den
letzten ruhmlosen Platz an meiner Seite, nicht
achtend auf ihre kummervollen Thränen oder
vielmehr angenehm durchschauert durch dieselben,
so suchte ich das Leid dann durch verdoppelte
Freundlichkeit aufzuhellen, bis mich die hart¬
näckige Trauer, welche nichts von meinen wah¬

Gegend in dem großen Saale. So geſchah es,
daß ich die Maͤdchen, welche ich gern ſah, ent¬
weder fortwaͤhrend oben hielt in der Region des
Ruhmes und der Tugend, oder aber ſie ſtets
niederdruͤckte in die dunkle Sphaͤre der Suͤnde
und der Vergeſſenheit, in beiden Faͤllen immer
zunaͤchſt meinem tyranniſchen Herzen. Dieſes
aber ward ſelbſt reichlich mitbewegt, wenn ich
oft von der ohne Verdienſt erhobenen Schoͤnen
kein Laͤcheln des Dankes erhielt, wenn ſie die
unverdiente Ehre hinnahm, als ob ſie ihr ge¬
buͤhrte und es mir durch muthwillige ruͤckſichts¬
loſe Streiche unendlich erſchwerte, ſie auf der
glatten Hoͤhe zu halten ohne auffallende Unge¬
rechtigkeit. Wenn ich hingegen eine andere Ge¬
liebte, jede kleine Unaufmerkſamkeit benutzend,
nach und nach heruntergebracht hatte bis auf den
letzten ruhmloſen Platz an meiner Seite, nicht
achtend auf ihre kummervollen Thraͤnen oder
vielmehr angenehm durchſchauert durch dieſelben,
ſo ſuchte ich das Leid dann durch verdoppelte
Freundlichkeit aufzuhellen, bis mich die hart¬
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[234/0248] Gegend in dem großen Saale. So geſchah es, daß ich die Maͤdchen, welche ich gern ſah, ent¬ weder fortwaͤhrend oben hielt in der Region des Ruhmes und der Tugend, oder aber ſie ſtets niederdruͤckte in die dunkle Sphaͤre der Suͤnde und der Vergeſſenheit, in beiden Faͤllen immer zunaͤchſt meinem tyranniſchen Herzen. Dieſes aber ward ſelbſt reichlich mitbewegt, wenn ich oft von der ohne Verdienſt erhobenen Schoͤnen kein Laͤcheln des Dankes erhielt, wenn ſie die unverdiente Ehre hinnahm, als ob ſie ihr ge¬ buͤhrte und es mir durch muthwillige ruͤckſichts¬ loſe Streiche unendlich erſchwerte, ſie auf der glatten Hoͤhe zu halten ohne auffallende Unge¬ rechtigkeit. Wenn ich hingegen eine andere Ge¬ liebte, jede kleine Unaufmerkſamkeit benutzend, nach und nach heruntergebracht hatte bis auf den letzten ruhmloſen Platz an meiner Seite, nicht achtend auf ihre kummervollen Thraͤnen oder vielmehr angenehm durchſchauert durch dieſelben, ſo ſuchte ich das Leid dann durch verdoppelte Freundlichkeit aufzuhellen, bis mich die hart¬ naͤckige Trauer, welche nichts von meinen wah¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/248>, abgerufen am 21.11.2024.