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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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zu machen. Die Pein dieser Disciplin erreichte
ihren Gipfel, wenn mehrere Male im Jahre die
Reihe an mich kam, am Sonntage in der Kirche,
vor der ganzen Gemeinde, mit lauter vernehm¬
licher Stimme das wunderliche Zwiegespräch mit
dem Geistlichen zu führen, welcher in weiter
Entfernung von mir auf der Kanzel stand, und
wo jedes Stocken und Vergessen zu einer Art
Kirchenschande gereichte. Viele Kinder schöpften
zwar gerade aus dieser Uebung Gelegenheit, mit
Salbung und Zungengeläufigkeit, wohl gar mit
ihrer Frechheit zu prunken, und der Tag gerieth
ihnen immer zu einem Triumph- und Freuden¬
tag. Gerade bei diesen erwies es sich aber jeder¬
zeit, daß Alles eitel Schall und Rauch gewesen.
Es giebt geborene Protestanten, und ich möchte
mich zu diesen zählen, weil nicht ein Mangel an
religiösem Sinne, sondern, freilich mir unbewußt,
ein letztes feines Räuchlein verschollener Scheiter¬
haufen, durch die hallende Kirche schwebend, mir
den Aufenthalt widerlich machte, wenn die ein¬
tönigen Gewaltsätze hin und her geworfen wur¬
den. Nicht als ob ich mir einbilden wollte, ein

zu machen. Die Pein dieſer Disciplin erreichte
ihren Gipfel, wenn mehrere Male im Jahre die
Reihe an mich kam, am Sonntage in der Kirche,
vor der ganzen Gemeinde, mit lauter vernehm¬
licher Stimme das wunderliche Zwiegeſpraͤch mit
dem Geiſtlichen zu fuͤhren, welcher in weiter
Entfernung von mir auf der Kanzel ſtand, und
wo jedes Stocken und Vergeſſen zu einer Art
Kirchenſchande gereichte. Viele Kinder ſchoͤpften
zwar gerade aus dieſer Uebung Gelegenheit, mit
Salbung und Zungengelaͤufigkeit, wohl gar mit
ihrer Frechheit zu prunken, und der Tag gerieth
ihnen immer zu einem Triumph- und Freuden¬
tag. Gerade bei dieſen erwies es ſich aber jeder¬
zeit, daß Alles eitel Schall und Rauch geweſen.
Es giebt geborene Proteſtanten, und ich moͤchte
mich zu dieſen zaͤhlen, weil nicht ein Mangel an
religioͤſem Sinne, ſondern, freilich mir unbewußt,
ein letztes feines Raͤuchlein verſchollener Scheiter¬
haufen, durch die hallende Kirche ſchwebend, mir
den Aufenthalt widerlich machte, wenn die ein¬
toͤnigen Gewaltſaͤtze hin und her geworfen wur¬
den. Nicht als ob ich mir einbilden wollte, ein

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[239/0253] zu machen. Die Pein dieſer Disciplin erreichte ihren Gipfel, wenn mehrere Male im Jahre die Reihe an mich kam, am Sonntage in der Kirche, vor der ganzen Gemeinde, mit lauter vernehm¬ licher Stimme das wunderliche Zwiegeſpraͤch mit dem Geiſtlichen zu fuͤhren, welcher in weiter Entfernung von mir auf der Kanzel ſtand, und wo jedes Stocken und Vergeſſen zu einer Art Kirchenſchande gereichte. Viele Kinder ſchoͤpften zwar gerade aus dieſer Uebung Gelegenheit, mit Salbung und Zungengelaͤufigkeit, wohl gar mit ihrer Frechheit zu prunken, und der Tag gerieth ihnen immer zu einem Triumph- und Freuden¬ tag. Gerade bei dieſen erwies es ſich aber jeder¬ zeit, daß Alles eitel Schall und Rauch geweſen. Es giebt geborene Proteſtanten, und ich moͤchte mich zu dieſen zaͤhlen, weil nicht ein Mangel an religioͤſem Sinne, ſondern, freilich mir unbewußt, ein letztes feines Raͤuchlein verſchollener Scheiter¬ haufen, durch die hallende Kirche ſchwebend, mir den Aufenthalt widerlich machte, wenn die ein¬ toͤnigen Gewaltſaͤtze hin und her geworfen wur¬ den. Nicht als ob ich mir einbilden wollte, ein

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/253>, abgerufen am 21.11.2024.