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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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Kenner und disputirte reichlich, unter angenom¬
mener Kaltblütigkeit, mit meinen Freunden.
Dieser Zwiespalt, die angenommene kennerhafte
Ruhe und das unausbleibliche leidenschaftliche
Hingeben auch an das verworfenste Stück fing
an mich zu ärgern, und ich sehnte mich auch
sonst, mit Einem Schlage hinter die Coulissen zu
kommen und das berückende Spiel und seine
Spieler, wie ihre Mittel, in der Nähe zu be¬
sehen; denn es bedünkte mich, daß es dort besser
zu leben sein müsse, als irgendwo in der Welt,
leidenschaftslos und überlegen. Doch dachte ich
nicht so leicht an eine Erfüllung meines Wun¬
sches, als ein günstiger Stern dieselbe unver¬
hofft darbrachte.

Wir standen eines Abends ziemlich muthlos
vor einer Seitenthür, als eben der Faust gege¬
ben wurde. Wir hatten gehört, daß man den
famosen Doktor Faust, den wir genugsam kann¬
ten, nebst dem Teufel und allen seinen Herrlich¬
keiten sehen würde, fanden aber heute alle Hin¬
dernisse unübersteiglich, welche auf unsern ge¬
wohnten Schlupfwegen sich entgegenstellten. So

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Kenner und disputirte reichlich, unter angenom¬
mener Kaltbluͤtigkeit, mit meinen Freunden.
Dieſer Zwieſpalt, die angenommene kennerhafte
Ruhe und das unausbleibliche leidenſchaftliche
Hingeben auch an das verworfenſte Stuͤck fing
an mich zu aͤrgern, und ich ſehnte mich auch
ſonſt, mit Einem Schlage hinter die Couliſſen zu
kommen und das beruͤckende Spiel und ſeine
Spieler, wie ihre Mittel, in der Naͤhe zu be¬
ſehen; denn es beduͤnkte mich, daß es dort beſſer
zu leben ſein muͤſſe, als irgendwo in der Welt,
leidenſchaftslos und uͤberlegen. Doch dachte ich
nicht ſo leicht an eine Erfuͤllung meines Wun¬
ſches, als ein guͤnſtiger Stern dieſelbe unver¬
hofft darbrachte.

Wir ſtanden eines Abends ziemlich muthlos
vor einer Seitenthuͤr, als eben der Fauſt gege¬
ben wurde. Wir hatten gehoͤrt, daß man den
famoſen Doktor Fauſt, den wir genugſam kann¬
ten, nebſt dem Teufel und allen ſeinen Herrlich¬
keiten ſehen wuͤrde, fanden aber heute alle Hin¬
derniſſe unuͤberſteiglich, welche auf unſern ge¬
wohnten Schlupfwegen ſich entgegenſtellten. So

17 *
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[265/0279] Kenner und disputirte reichlich, unter angenom¬ mener Kaltbluͤtigkeit, mit meinen Freunden. Dieſer Zwieſpalt, die angenommene kennerhafte Ruhe und das unausbleibliche leidenſchaftliche Hingeben auch an das verworfenſte Stuͤck fing an mich zu aͤrgern, und ich ſehnte mich auch ſonſt, mit Einem Schlage hinter die Couliſſen zu kommen und das beruͤckende Spiel und ſeine Spieler, wie ihre Mittel, in der Naͤhe zu be¬ ſehen; denn es beduͤnkte mich, daß es dort beſſer zu leben ſein muͤſſe, als irgendwo in der Welt, leidenſchaftslos und uͤberlegen. Doch dachte ich nicht ſo leicht an eine Erfuͤllung meines Wun¬ ſches, als ein guͤnſtiger Stern dieſelbe unver¬ hofft darbrachte. Wir ſtanden eines Abends ziemlich muthlos vor einer Seitenthuͤr, als eben der Fauſt gege¬ ben wurde. Wir hatten gehoͤrt, daß man den famoſen Doktor Fauſt, den wir genugſam kann¬ ten, nebſt dem Teufel und allen ſeinen Herrlich¬ keiten ſehen wuͤrde, fanden aber heute alle Hin¬ derniſſe unuͤberſteiglich, welche auf unſern ge¬ wohnten Schlupfwegen ſich entgegenſtellten. So 17 *

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/279>, abgerufen am 21.11.2024.