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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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wir vollzählig und unfehlbar auf unserm Platze
und schlichen wie die Katzen um das Gebäude
herum. Da ich bei der Sparsamkeit meiner
Mutter keine Möglichkeit sah, auf legalem Wege
in das Innere des Kunsttempels zu gelangen,
so befand ich mich doppelt wohl bei meinen Ge¬
nossen der Armenschule, welche ebenfalls darauf
gewiesen waren, entweder durch kleine Dienst¬
leistungen oder durch verwegene Schlauheit durch¬
zuschlüpfen. Es gelang mir auch mehrere Male,
mich mit klopfendem Herzen in den angefüllten
Saal zu schleichen, und überflog mit befriedigten
Blicken die Decorationen, wenn der Vorhang
aufging, dann die Costüme und Trachten der
Spieler, um endlich, nachdem schon Erkleckliches
gesprochen war, mich in das Studium der Fabel
zu vertiefen. Dieses machte mir am meisten
Vergnügen bei den Opern, weil es dort am
schwierigsten war; bei den Schauspielen war es
zu leicht und riß mich zu schnell hin, indem es
mir alle Objectivität, so wie die gehörige Muße
benahm, welche jene durch die unverstandene
Musik darboten. Ich war bald ein großer

wir vollzaͤhlig und unfehlbar auf unſerm Platze
und ſchlichen wie die Katzen um das Gebaͤude
herum. Da ich bei der Sparſamkeit meiner
Mutter keine Moͤglichkeit ſah, auf legalem Wege
in das Innere des Kunſttempels zu gelangen,
ſo befand ich mich doppelt wohl bei meinen Ge¬
noſſen der Armenſchule, welche ebenfalls darauf
gewieſen waren, entweder durch kleine Dienſt¬
leiſtungen oder durch verwegene Schlauheit durch¬
zuſchluͤpfen. Es gelang mir auch mehrere Male,
mich mit klopfendem Herzen in den angefuͤllten
Saal zu ſchleichen, und uͤberflog mit befriedigten
Blicken die Decorationen, wenn der Vorhang
aufging, dann die Coſtuͤme und Trachten der
Spieler, um endlich, nachdem ſchon Erkleckliches
geſprochen war, mich in das Studium der Fabel
zu vertiefen. Dieſes machte mir am meiſten
Vergnuͤgen bei den Opern, weil es dort am
ſchwierigſten war; bei den Schauſpielen war es
zu leicht und riß mich zu ſchnell hin, indem es
mir alle Objectivitaͤt, ſo wie die gehoͤrige Muße
benahm, welche jene durch die unverſtandene
Muſik darboten. Ich war bald ein großer

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[264/0278] wir vollzaͤhlig und unfehlbar auf unſerm Platze und ſchlichen wie die Katzen um das Gebaͤude herum. Da ich bei der Sparſamkeit meiner Mutter keine Moͤglichkeit ſah, auf legalem Wege in das Innere des Kunſttempels zu gelangen, ſo befand ich mich doppelt wohl bei meinen Ge¬ noſſen der Armenſchule, welche ebenfalls darauf gewieſen waren, entweder durch kleine Dienſt¬ leiſtungen oder durch verwegene Schlauheit durch¬ zuſchluͤpfen. Es gelang mir auch mehrere Male, mich mit klopfendem Herzen in den angefuͤllten Saal zu ſchleichen, und uͤberflog mit befriedigten Blicken die Decorationen, wenn der Vorhang aufging, dann die Coſtuͤme und Trachten der Spieler, um endlich, nachdem ſchon Erkleckliches geſprochen war, mich in das Studium der Fabel zu vertiefen. Dieſes machte mir am meiſten Vergnuͤgen bei den Opern, weil es dort am ſchwierigſten war; bei den Schauſpielen war es zu leicht und riß mich zu ſchnell hin, indem es mir alle Objectivitaͤt, ſo wie die gehoͤrige Muße benahm, welche jene durch die unverſtandene Muſik darboten. Ich war bald ein großer

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/278>, abgerufen am 21.11.2024.