Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

rothen Zimmers zauberte; mit den wenigen wei¬
ßen, wohlangebrachten Strichen und Tupfen auf
dem rothen Grunde ging ein erwärmendes Licht
in meiner Seele auf, welche vor solchen Dingen,
wenn sie in der nächtlichen Beleuchtung vor mir
standen, begriffslos gestaunt hatte. Es entstand
in mir die erste ahnende Einsicht in den Geist
der Malerei; das freie Auftragen von dichten
deckenden Farben auf durchsichtige Unterlagen
machte mir Vieles klar, und ich begann nachher
der Gränze dieser zwei Gebiete nachzuspüren,
wo ich ein Gemälde zu sehen bekam, und meine
Entdeckungen hoben mich über den wehrlosen
Wunderglauben hinaus, welcher es aufgiebt,
jemals dergleichen selbst zu verstehen. Diese Be¬
fangenheit ist allgemein in den untern Kreisen
des Volkes, wo selten, vermöge der beschränkten
Erziehung, ein früher Einblick in das Technische
der Künste vergönnt wird, sondern nur die fer¬
tigen Früchte in ehrerbietiger Entfernung und
unnahbarer Vollendung vor dem staunenden
Auge stehen.

An den Abenden, wo gespielt wurde, waren

rothen Zimmers zauberte; mit den wenigen wei¬
ßen, wohlangebrachten Strichen und Tupfen auf
dem rothen Grunde ging ein erwaͤrmendes Licht
in meiner Seele auf, welche vor ſolchen Dingen,
wenn ſie in der naͤchtlichen Beleuchtung vor mir
ſtanden, begriffslos geſtaunt hatte. Es entſtand
in mir die erſte ahnende Einſicht in den Geiſt
der Malerei; das freie Auftragen von dichten
deckenden Farben auf durchſichtige Unterlagen
machte mir Vieles klar, und ich begann nachher
der Graͤnze dieſer zwei Gebiete nachzuſpuͤren,
wo ich ein Gemaͤlde zu ſehen bekam, und meine
Entdeckungen hoben mich uͤber den wehrloſen
Wunderglauben hinaus, welcher es aufgiebt,
jemals dergleichen ſelbſt zu verſtehen. Dieſe Be¬
fangenheit iſt allgemein in den untern Kreiſen
des Volkes, wo ſelten, vermoͤge der beſchraͤnkten
Erziehung, ein fruͤher Einblick in das Techniſche
der Kuͤnſte vergoͤnnt wird, ſondern nur die fer¬
tigen Fruͤchte in ehrerbietiger Entfernung und
unnahbarer Vollendung vor dem ſtaunenden
Auge ſtehen.

An den Abenden, wo geſpielt wurde, waren

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0277" n="263"/>
rothen Zimmers zauberte; mit den wenigen wei¬<lb/>
ßen, wohlangebrachten Strichen und Tupfen auf<lb/>
dem rothen Grunde ging ein erwa&#x0364;rmendes Licht<lb/>
in meiner Seele auf, welche vor &#x017F;olchen Dingen,<lb/>
wenn &#x017F;ie in der na&#x0364;chtlichen Beleuchtung vor mir<lb/>
&#x017F;tanden, begriffslos ge&#x017F;taunt hatte. Es ent&#x017F;tand<lb/>
in mir die er&#x017F;te ahnende Ein&#x017F;icht in den Gei&#x017F;t<lb/>
der Malerei; das freie Auftragen von dichten<lb/>
deckenden Farben auf durch&#x017F;ichtige Unterlagen<lb/>
machte mir Vieles klar, und ich begann nachher<lb/>
der Gra&#x0364;nze die&#x017F;er zwei Gebiete nachzu&#x017F;pu&#x0364;ren,<lb/>
wo ich ein Gema&#x0364;lde zu &#x017F;ehen bekam, und meine<lb/>
Entdeckungen hoben mich u&#x0364;ber den wehrlo&#x017F;en<lb/>
Wunderglauben hinaus, welcher es aufgiebt,<lb/>
jemals dergleichen &#x017F;elb&#x017F;t zu ver&#x017F;tehen. Die&#x017F;e Be¬<lb/>
fangenheit i&#x017F;t allgemein in den untern Krei&#x017F;en<lb/>
des Volkes, wo &#x017F;elten, vermo&#x0364;ge der be&#x017F;chra&#x0364;nkten<lb/>
Erziehung, ein fru&#x0364;her Einblick in das Techni&#x017F;che<lb/>
der Ku&#x0364;n&#x017F;te vergo&#x0364;nnt wird, &#x017F;ondern nur die fer¬<lb/>
tigen Fru&#x0364;chte in ehrerbietiger Entfernung und<lb/>
unnahbarer Vollendung vor dem &#x017F;taunenden<lb/>
Auge &#x017F;tehen.</p><lb/>
        <p>An den Abenden, wo ge&#x017F;pielt wurde, waren<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[263/0277] rothen Zimmers zauberte; mit den wenigen wei¬ ßen, wohlangebrachten Strichen und Tupfen auf dem rothen Grunde ging ein erwaͤrmendes Licht in meiner Seele auf, welche vor ſolchen Dingen, wenn ſie in der naͤchtlichen Beleuchtung vor mir ſtanden, begriffslos geſtaunt hatte. Es entſtand in mir die erſte ahnende Einſicht in den Geiſt der Malerei; das freie Auftragen von dichten deckenden Farben auf durchſichtige Unterlagen machte mir Vieles klar, und ich begann nachher der Graͤnze dieſer zwei Gebiete nachzuſpuͤren, wo ich ein Gemaͤlde zu ſehen bekam, und meine Entdeckungen hoben mich uͤber den wehrloſen Wunderglauben hinaus, welcher es aufgiebt, jemals dergleichen ſelbſt zu verſtehen. Dieſe Be¬ fangenheit iſt allgemein in den untern Kreiſen des Volkes, wo ſelten, vermoͤge der beſchraͤnkten Erziehung, ein fruͤher Einblick in das Techniſche der Kuͤnſte vergoͤnnt wird, ſondern nur die fer¬ tigen Fruͤchte in ehrerbietiger Entfernung und unnahbarer Vollendung vor dem ſtaunenden Auge ſtehen. An den Abenden, wo geſpielt wurde, waren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/277
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/277>, abgerufen am 21.11.2024.