Bühne, bald hinter die Coulissen, und beobach¬ tete mit hoher Freude, wie aus dem unkenntli¬ chen, unterdrückt lärmenden und streitenden Chaos sich still und unmerklich geordnete Bilder und Handlungen ausschieden und auf dem freien, hellen Raume erschienen, wie in einer jenseitigen Welt, um wieder eben so unbegreiflich in das dunkle Gebiet zurückzutauchen. Die Schauspieler lachten, scherzten, koseten und zankten, hier und da ging einer plötzlich von seiner Gruppe weg und stand in einem Augenblicke einsam und feier¬ lich mitten auf dem Zauberbanne und machte ein so frommes Gesicht gegen die mir unsichtbare Zuschauerwelt hinaus, als ob er vor den ver¬ sammelten Göttern stände. Ehe ich mich dessen versah, war er wieder mit einem Sprunge unter uns und setzte die unterbrochenen Schimpf- oder Schmeichelreden fort, indessen schon irgend ein Anderer sich ausgeschieden hatte, um es ebenso zu machen. Die Menschen führten ein doppel¬ tes Leben, wovon das eine ein Traum sein mochte; aber ich wurde nicht klug daraus, wel¬ ches davon der Traum, und welches für sie die
Buͤhne, bald hinter die Couliſſen, und beobach¬ tete mit hoher Freude, wie aus dem unkenntli¬ chen, unterdruͤckt laͤrmenden und ſtreitenden Chaos ſich ſtill und unmerklich geordnete Bilder und Handlungen ausſchieden und auf dem freien, hellen Raume erſchienen, wie in einer jenſeitigen Welt, um wieder eben ſo unbegreiflich in das dunkle Gebiet zuruͤckzutauchen. Die Schauſpieler lachten, ſcherzten, koſeten und zankten, hier und da ging einer ploͤtzlich von ſeiner Gruppe weg und ſtand in einem Augenblicke einſam und feier¬ lich mitten auf dem Zauberbanne und machte ein ſo frommes Geſicht gegen die mir unſichtbare Zuſchauerwelt hinaus, als ob er vor den ver¬ ſammelten Goͤttern ſtaͤnde. Ehe ich mich deſſen verſah, war er wieder mit einem Sprunge unter uns und ſetzte die unterbrochenen Schimpf- oder Schmeichelreden fort, indeſſen ſchon irgend ein Anderer ſich ausgeſchieden hatte, um es ebenſo zu machen. Die Menſchen fuͤhrten ein doppel¬ tes Leben, wovon das eine ein Traum ſein mochte; aber ich wurde nicht klug daraus, wel¬ ches davon der Traum, und welches fuͤr ſie die
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Buͤhne, bald hinter die Couliſſen, und beobach¬
tete mit hoher Freude, wie aus dem unkenntli¬
chen, unterdruͤckt laͤrmenden und ſtreitenden Chaos
ſich ſtill und unmerklich geordnete Bilder und
Handlungen ausſchieden und auf dem freien,
hellen Raume erſchienen, wie in einer jenſeitigen
Welt, um wieder eben ſo unbegreiflich in das
dunkle Gebiet zuruͤckzutauchen. Die Schauſpieler
lachten, ſcherzten, koſeten und zankten, hier und
da ging einer ploͤtzlich von ſeiner Gruppe weg
und ſtand in einem Augenblicke einſam und feier¬
lich mitten auf dem Zauberbanne und machte ein
ſo frommes Geſicht gegen die mir unſichtbare
Zuſchauerwelt hinaus, als ob er vor den ver¬
ſammelten Goͤttern ſtaͤnde. Ehe ich mich deſſen
verſah, war er wieder mit einem Sprunge unter
uns und ſetzte die unterbrochenen Schimpf- oder
Schmeichelreden fort, indeſſen ſchon irgend ein
Anderer ſich ausgeſchieden hatte, um es ebenſo
zu machen. Die Menſchen fuͤhrten ein doppel¬
tes Leben, wovon das eine ein Traum ſein
mochte; aber ich wurde nicht klug daraus, wel¬
ches davon der Traum, und welches fuͤr ſie die
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/282>, abgerufen am 21.11.2024.
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