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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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Wirklichkeit war. Lust und Leid schien mir in
beiden Theilen gleich gemischt vorhanden zu sein;
doch im innern Raume der Bühne, wenn der
Vorhang geöffnet war, schien Vernunft und
Würde und ein heller Tag zu herrschen und so¬
mit das wirkliche Leben zu bilden, während, so¬
bald der Vorhang sank, mit ihm Alles in trübe,
traumhafte Verwirrung zu sinken schien. Auch
dünkte es mich, daß diejenigen, welche sich in
diesem wüsten Traume am heftigsten und leiden¬
schaftlichsten geberdeten, dort in dem bessern Stück
Leben, wenn die Sonne des Kronleuchters her¬
einschien, die edelsten und ausdruckvollsten Ge¬
stalten waren; diejenigen aber, welche in der
Nähe ruhig, kalt und friedfertig herumstanden,
in jenem Glanze eine ziemlich traurige Rolle
spielten. Der Text des Stückes war die Musik,
welche das Leben in Schwung brachte. Sobald
sie schwieg, stand der Tanz still, wie eine abge¬
laufene Uhr. Die Verse des Faust, welche jeden
Deutschen, sobald er einen davon hört, elektrisiren,
diese wunderbar gelungene und gesättigte Sprache
klang fortwährend wie eine edle Musik, machte

Wirklichkeit war. Luſt und Leid ſchien mir in
beiden Theilen gleich gemiſcht vorhanden zu ſein;
doch im innern Raume der Buͤhne, wenn der
Vorhang geoͤffnet war, ſchien Vernunft und
Wuͤrde und ein heller Tag zu herrſchen und ſo¬
mit das wirkliche Leben zu bilden, waͤhrend, ſo¬
bald der Vorhang ſank, mit ihm Alles in truͤbe,
traumhafte Verwirrung zu ſinken ſchien. Auch
duͤnkte es mich, daß diejenigen, welche ſich in
dieſem wuͤſten Traume am heftigſten und leiden¬
ſchaftlichſten geberdeten, dort in dem beſſern Stuͤck
Leben, wenn die Sonne des Kronleuchters her¬
einſchien, die edelſten und ausdruckvollſten Ge¬
ſtalten waren; diejenigen aber, welche in der
Naͤhe ruhig, kalt und friedfertig herumſtanden,
in jenem Glanze eine ziemlich traurige Rolle
ſpielten. Der Text des Stuͤckes war die Muſik,
welche das Leben in Schwung brachte. Sobald
ſie ſchwieg, ſtand der Tanz ſtill, wie eine abge¬
laufene Uhr. Die Verſe des Fauſt, welche jeden
Deutſchen, ſobald er einen davon hoͤrt, elektriſiren,
dieſe wunderbar gelungene und geſaͤttigte Sprache
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[269/0283] Wirklichkeit war. Luſt und Leid ſchien mir in beiden Theilen gleich gemiſcht vorhanden zu ſein; doch im innern Raume der Buͤhne, wenn der Vorhang geoͤffnet war, ſchien Vernunft und Wuͤrde und ein heller Tag zu herrſchen und ſo¬ mit das wirkliche Leben zu bilden, waͤhrend, ſo¬ bald der Vorhang ſank, mit ihm Alles in truͤbe, traumhafte Verwirrung zu ſinken ſchien. Auch duͤnkte es mich, daß diejenigen, welche ſich in dieſem wuͤſten Traume am heftigſten und leiden¬ ſchaftlichſten geberdeten, dort in dem beſſern Stuͤck Leben, wenn die Sonne des Kronleuchters her¬ einſchien, die edelſten und ausdruckvollſten Ge¬ ſtalten waren; diejenigen aber, welche in der Naͤhe ruhig, kalt und friedfertig herumſtanden, in jenem Glanze eine ziemlich traurige Rolle ſpielten. Der Text des Stuͤckes war die Muſik, welche das Leben in Schwung brachte. Sobald ſie ſchwieg, ſtand der Tanz ſtill, wie eine abge¬ laufene Uhr. Die Verſe des Fauſt, welche jeden Deutſchen, ſobald er einen davon hoͤrt, elektriſiren, dieſe wunderbar gelungene und geſaͤttigte Sprache klang fortwaͤhrend wie eine edle Muſik, machte

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/283>, abgerufen am 22.11.2024.