seid Ihr, kleiner Bursch?" Kleinlaut antwor¬ tete ich: "Ich heiße Heinrich Lee und bin eine von den Meerkatzen; man hat mich hier einge¬ schlossen!"
Da trat sie auf mich zu, streifte meine Maske zurück, faßte mein Gesicht zwischen ihre Hände und rief, indem sie laut lachte: "Herr Gott! das ist die aufmerksame Meerkatze! Ei, Du kleiner Schalk! bist Du es, der den Lärm ge¬ macht hat, als ob ein Gewitter im Hause wäre?" "Ja!" sagte ich, indem meine Augen fortwährend auf dem weißen Raume ihrer Brust hafteten und mein Herz zum ersten Male wieder so andächtig erfreut war, wie einst, wenn ich in das glän¬ zende Feld des Abendrothes geschaut und den lieben Gott darin geahnt hatte. Dann betrach¬ tete ich in vollkommener Ruhe ihr schönes Ge¬ sicht und gab mich unbefangen dem süßen Ein¬ drucke ihres reizenden Mundes hin. Sie sah mich eine Weile still und ernsthaft an, dann sprach sie: "Mich dünkt, Du bist ein feiner Junge; doch wenn Du einst groß sein wirst, so wirst Du ein Lümmel sein, wie Alle!" Und
ſeid Ihr, kleiner Burſch?« Kleinlaut antwor¬ tete ich: »Ich heiße Heinrich Lee und bin eine von den Meerkatzen; man hat mich hier einge¬ ſchloſſen!«
Da trat ſie auf mich zu, ſtreifte meine Maske zuruͤck, faßte mein Geſicht zwiſchen ihre Haͤnde und rief, indem ſie laut lachte: »Herr Gott! das iſt die aufmerkſame Meerkatze! Ei, Du kleiner Schalk! biſt Du es, der den Laͤrm ge¬ macht hat, als ob ein Gewitter im Hauſe waͤre?« »Ja!« ſagte ich, indem meine Augen fortwaͤhrend auf dem weißen Raume ihrer Bruſt hafteten und mein Herz zum erſten Male wieder ſo andaͤchtig erfreut war, wie einſt, wenn ich in das glaͤn¬ zende Feld des Abendrothes geſchaut und den lieben Gott darin geahnt hatte. Dann betrach¬ tete ich in vollkommener Ruhe ihr ſchoͤnes Ge¬ ſicht und gab mich unbefangen dem ſuͤßen Ein¬ drucke ihres reizenden Mundes hin. Sie ſah mich eine Weile ſtill und ernſthaft an, dann ſprach ſie: »Mich duͤnkt, Du biſt ein feiner Junge; doch wenn Du einſt groß ſein wirſt, ſo wirſt Du ein Luͤmmel ſein, wie Alle!« Und
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ſeid Ihr, kleiner Burſch?« Kleinlaut antwor¬
tete ich: »Ich heiße Heinrich Lee und bin eine
von den Meerkatzen; man hat mich hier einge¬
ſchloſſen!«
Da trat ſie auf mich zu, ſtreifte meine Maske
zuruͤck, faßte mein Geſicht zwiſchen ihre Haͤnde
und rief, indem ſie laut lachte: »Herr Gott!
das iſt die aufmerkſame Meerkatze! Ei, Du
kleiner Schalk! biſt Du es, der den Laͤrm ge¬
macht hat, als ob ein Gewitter im Hauſe waͤre?«
»Ja!« ſagte ich, indem meine Augen fortwaͤhrend
auf dem weißen Raume ihrer Bruſt hafteten und
mein Herz zum erſten Male wieder ſo andaͤchtig
erfreut war, wie einſt, wenn ich in das glaͤn¬
zende Feld des Abendrothes geſchaut und den
lieben Gott darin geahnt hatte. Dann betrach¬
tete ich in vollkommener Ruhe ihr ſchoͤnes Ge¬
ſicht und gab mich unbefangen dem ſuͤßen Ein¬
drucke ihres reizenden Mundes hin. Sie ſah
mich eine Weile ſtill und ernſthaft an, dann
ſprach ſie: »Mich duͤnkt, Du biſt ein feiner
Junge; doch wenn Du einſt groß ſein wirſt, ſo
wirſt Du ein Luͤmmel ſein, wie Alle!« Und
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/292>, abgerufen am 22.11.2024.
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