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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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stücken entsprachen, zusammengerollt und mit einem
Bindfaden vielfach umwunden und die sie ihm ja
nicht zu verlieren empfahl, indem ein gewandter
Schneider die Existenz eines Rockes mit derglei¬
chen manchmal um ein volles Jahr zu fristen
vermöge. Sie gerieth hierbei wieder in einigen
Conflict mit dem Sohne, welcher alle vorhande¬
nen Lücken für die verschiedenen Bruchstücke einer
alten Flöte, für ein Lineal, eine Farbenschachtel,
einen baufälligen Operngucker u. s. w. in Beschlag
nehmen wollte. Ja, er machte, obgleich er kein
Mediziner war, doch einen vergeblichen Versuch,
einen defecten Todtenschädel, mit welchem er sei¬
nem Kämmerchen ein gelehrtes Ansehen zu geben
gewußt hatte, noch unter den Deckel zu zwängen.
Die Mutter jagte ihn aber mit widerstandsloser
Energie von dannen und man behauptet, daß das
gräuliche Möbel nicht lange nachher einem ehr¬
lichen Todtengräber bei Nacht und Nebel nebst
einem Trinkgelde übergeben worden sei.

Sie schlossen mit Mühe den vollgepfropften
Koffer; denn auch das Kind der unbemitteltsten
Eltern, wenn es aus den Armen einer treuen

ſtuͤcken entſprachen, zuſammengerollt und mit einem
Bindfaden vielfach umwunden und die ſie ihm ja
nicht zu verlieren empfahl, indem ein gewandter
Schneider die Exiſtenz eines Rockes mit derglei¬
chen manchmal um ein volles Jahr zu friſten
vermoͤge. Sie gerieth hierbei wieder in einigen
Conflict mit dem Sohne, welcher alle vorhande¬
nen Luͤcken fuͤr die verſchiedenen Bruchſtuͤcke einer
alten Floͤte, fuͤr ein Lineal, eine Farbenſchachtel,
einen baufaͤlligen Operngucker u. ſ. w. in Beſchlag
nehmen wollte. Ja, er machte, obgleich er kein
Mediziner war, doch einen vergeblichen Verſuch,
einen defecten Todtenſchaͤdel, mit welchem er ſei¬
nem Kaͤmmerchen ein gelehrtes Anſehen zu geben
gewußt hatte, noch unter den Deckel zu zwaͤngen.
Die Mutter jagte ihn aber mit widerſtandsloſer
Energie von dannen und man behauptet, daß das
graͤuliche Moͤbel nicht lange nachher einem ehr¬
lichen Todtengraͤber bei Nacht und Nebel nebſt
einem Trinkgelde uͤbergeben worden ſei.

Sie ſchloſſen mit Muͤhe den vollgepfropften
Koffer; denn auch das Kind der unbemitteltſten
Eltern, wenn es aus den Armen einer treuen

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[20/0034] ſtuͤcken entſprachen, zuſammengerollt und mit einem Bindfaden vielfach umwunden und die ſie ihm ja nicht zu verlieren empfahl, indem ein gewandter Schneider die Exiſtenz eines Rockes mit derglei¬ chen manchmal um ein volles Jahr zu friſten vermoͤge. Sie gerieth hierbei wieder in einigen Conflict mit dem Sohne, welcher alle vorhande¬ nen Luͤcken fuͤr die verſchiedenen Bruchſtuͤcke einer alten Floͤte, fuͤr ein Lineal, eine Farbenſchachtel, einen baufaͤlligen Operngucker u. ſ. w. in Beſchlag nehmen wollte. Ja, er machte, obgleich er kein Mediziner war, doch einen vergeblichen Verſuch, einen defecten Todtenſchaͤdel, mit welchem er ſei¬ nem Kaͤmmerchen ein gelehrtes Anſehen zu geben gewußt hatte, noch unter den Deckel zu zwaͤngen. Die Mutter jagte ihn aber mit widerſtandsloſer Energie von dannen und man behauptet, daß das graͤuliche Moͤbel nicht lange nachher einem ehr¬ lichen Todtengraͤber bei Nacht und Nebel nebſt einem Trinkgelde uͤbergeben worden ſei. Sie ſchloſſen mit Muͤhe den vollgepfropften Koffer; denn auch das Kind der unbemitteltſten Eltern, wenn es aus den Armen einer treuen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/34>, abgerufen am 21.11.2024.