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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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Zufall mich manchmal gewinnen ließ, so setzte er
in seinem Buche auf die Seite des Soll mit
wichtiger Miene ein knappes Zählchen, welches
sich in seiner Einsamkeit höchst wunderlich aus¬
nahm und mir neuen Stoff zum Lachen, ihm
hingegen zu ernsthaften Redensarten gab. Er
suchte mich eifrigst zu überzeugen, daß Schulden
eine wichtige Ehrensache seien und eines Tages,
als der Sommer sich seinem Ende nahte, über¬
raschte mich Meierlein mit der Nachricht, daß er
nun "abgerechnet" habe, und zeigte mir eine runde
Zahl von mehreren Gulden nebst einigen Kreuzern
und Pfennigen und bemerkte dabei, daß es nun
thunlich wäre, wenn ich darauf dächte, ihm den
Betrag einzuhändigen, indem er wünsche, aus
seinen Ersparnissen sich ein schönes Buch zu kau¬
fen. Doch erwähnte er hierüber die nächsten zwei
Wochen nichts mehr und legte inzwischen eine
neue Rechnung an, welches er mit vermehrtem
Ernste that und wobei er ein seltsames Betragen
äußerte. Er wurde nicht unfreundlich, aber die
alte Fröhlichkeit und Unbefangenheit unseres Ver¬
kehres war verschwunden. Eine große Traurig¬

Zufall mich manchmal gewinnen ließ, ſo ſetzte er
in ſeinem Buche auf die Seite des Soll mit
wichtiger Miene ein knappes Zaͤhlchen, welches
ſich in ſeiner Einſamkeit hoͤchſt wunderlich aus¬
nahm und mir neuen Stoff zum Lachen, ihm
hingegen zu ernſthaften Redensarten gab. Er
ſuchte mich eifrigſt zu uͤberzeugen, daß Schulden
eine wichtige Ehrenſache ſeien und eines Tages,
als der Sommer ſich ſeinem Ende nahte, uͤber¬
raſchte mich Meierlein mit der Nachricht, daß er
nun »abgerechnet« habe, und zeigte mir eine runde
Zahl von mehreren Gulden nebſt einigen Kreuzern
und Pfennigen und bemerkte dabei, daß es nun
thunlich waͤre, wenn ich darauf daͤchte, ihm den
Betrag einzuhaͤndigen, indem er wuͤnſche, aus
ſeinen Erſparniſſen ſich ein ſchoͤnes Buch zu kau¬
fen. Doch erwaͤhnte er hieruͤber die naͤchſten zwei
Wochen nichts mehr und legte inzwiſchen eine
neue Rechnung an, welches er mit vermehrtem
Ernſte that und wobei er ein ſeltſames Betragen
aͤußerte. Er wurde nicht unfreundlich, aber die
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[329/0343] Zufall mich manchmal gewinnen ließ, ſo ſetzte er in ſeinem Buche auf die Seite des Soll mit wichtiger Miene ein knappes Zaͤhlchen, welches ſich in ſeiner Einſamkeit hoͤchſt wunderlich aus¬ nahm und mir neuen Stoff zum Lachen, ihm hingegen zu ernſthaften Redensarten gab. Er ſuchte mich eifrigſt zu uͤberzeugen, daß Schulden eine wichtige Ehrenſache ſeien und eines Tages, als der Sommer ſich ſeinem Ende nahte, uͤber¬ raſchte mich Meierlein mit der Nachricht, daß er nun »abgerechnet« habe, und zeigte mir eine runde Zahl von mehreren Gulden nebſt einigen Kreuzern und Pfennigen und bemerkte dabei, daß es nun thunlich waͤre, wenn ich darauf daͤchte, ihm den Betrag einzuhaͤndigen, indem er wuͤnſche, aus ſeinen Erſparniſſen ſich ein ſchoͤnes Buch zu kau¬ fen. Doch erwaͤhnte er hieruͤber die naͤchſten zwei Wochen nichts mehr und legte inzwiſchen eine neue Rechnung an, welches er mit vermehrtem Ernſte that und wobei er ein ſeltſames Betragen aͤußerte. Er wurde nicht unfreundlich, aber die alte Froͤhlichkeit und Unbefangenheit unſeres Ver¬ kehres war verſchwunden. Eine große Traurig¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/343>, abgerufen am 22.11.2024.