Zufall mich manchmal gewinnen ließ, so setzte er in seinem Buche auf die Seite des Soll mit wichtiger Miene ein knappes Zählchen, welches sich in seiner Einsamkeit höchst wunderlich aus¬ nahm und mir neuen Stoff zum Lachen, ihm hingegen zu ernsthaften Redensarten gab. Er suchte mich eifrigst zu überzeugen, daß Schulden eine wichtige Ehrensache seien und eines Tages, als der Sommer sich seinem Ende nahte, über¬ raschte mich Meierlein mit der Nachricht, daß er nun "abgerechnet" habe, und zeigte mir eine runde Zahl von mehreren Gulden nebst einigen Kreuzern und Pfennigen und bemerkte dabei, daß es nun thunlich wäre, wenn ich darauf dächte, ihm den Betrag einzuhändigen, indem er wünsche, aus seinen Ersparnissen sich ein schönes Buch zu kau¬ fen. Doch erwähnte er hierüber die nächsten zwei Wochen nichts mehr und legte inzwischen eine neue Rechnung an, welches er mit vermehrtem Ernste that und wobei er ein seltsames Betragen äußerte. Er wurde nicht unfreundlich, aber die alte Fröhlichkeit und Unbefangenheit unseres Ver¬ kehres war verschwunden. Eine große Traurig¬
Zufall mich manchmal gewinnen ließ, ſo ſetzte er in ſeinem Buche auf die Seite des Soll mit wichtiger Miene ein knappes Zaͤhlchen, welches ſich in ſeiner Einſamkeit hoͤchſt wunderlich aus¬ nahm und mir neuen Stoff zum Lachen, ihm hingegen zu ernſthaften Redensarten gab. Er ſuchte mich eifrigſt zu uͤberzeugen, daß Schulden eine wichtige Ehrenſache ſeien und eines Tages, als der Sommer ſich ſeinem Ende nahte, uͤber¬ raſchte mich Meierlein mit der Nachricht, daß er nun »abgerechnet« habe, und zeigte mir eine runde Zahl von mehreren Gulden nebſt einigen Kreuzern und Pfennigen und bemerkte dabei, daß es nun thunlich waͤre, wenn ich darauf daͤchte, ihm den Betrag einzuhaͤndigen, indem er wuͤnſche, aus ſeinen Erſparniſſen ſich ein ſchoͤnes Buch zu kau¬ fen. Doch erwaͤhnte er hieruͤber die naͤchſten zwei Wochen nichts mehr und legte inzwiſchen eine neue Rechnung an, welches er mit vermehrtem Ernſte that und wobei er ein ſeltſames Betragen aͤußerte. Er wurde nicht unfreundlich, aber die alte Froͤhlichkeit und Unbefangenheit unſeres Ver¬ kehres war verſchwunden. Eine große Traurig¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0343"n="329"/>
Zufall mich manchmal gewinnen ließ, ſo ſetzte er<lb/>
in ſeinem Buche auf die Seite des <hirendition="#g">Soll</hi> mit<lb/>
wichtiger Miene ein knappes Zaͤhlchen, welches<lb/>ſich in ſeiner Einſamkeit hoͤchſt wunderlich aus¬<lb/>
nahm und mir neuen Stoff zum Lachen, ihm<lb/>
hingegen zu ernſthaften Redensarten gab. Er<lb/>ſuchte mich eifrigſt zu uͤberzeugen, daß Schulden<lb/>
eine wichtige Ehrenſache ſeien und eines Tages,<lb/>
als der Sommer ſich ſeinem Ende nahte, uͤber¬<lb/>
raſchte mich Meierlein mit der Nachricht, daß er<lb/>
nun »abgerechnet« habe, und zeigte mir eine runde<lb/>
Zahl von mehreren Gulden nebſt einigen Kreuzern<lb/>
und Pfennigen und bemerkte dabei, daß es nun<lb/>
thunlich waͤre, wenn ich darauf daͤchte, ihm den<lb/>
Betrag einzuhaͤndigen, indem er wuͤnſche, aus<lb/>ſeinen Erſparniſſen ſich ein ſchoͤnes Buch zu kau¬<lb/>
fen. Doch erwaͤhnte er hieruͤber die naͤchſten zwei<lb/>
Wochen nichts mehr und legte inzwiſchen eine<lb/>
neue Rechnung an, welches er mit vermehrtem<lb/>
Ernſte that und wobei er ein ſeltſames Betragen<lb/>
aͤußerte. Er wurde nicht unfreundlich, aber die<lb/>
alte Froͤhlichkeit und Unbefangenheit unſeres Ver¬<lb/>
kehres war verſchwunden. Eine große Traurig¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[329/0343]
Zufall mich manchmal gewinnen ließ, ſo ſetzte er
in ſeinem Buche auf die Seite des Soll mit
wichtiger Miene ein knappes Zaͤhlchen, welches
ſich in ſeiner Einſamkeit hoͤchſt wunderlich aus¬
nahm und mir neuen Stoff zum Lachen, ihm
hingegen zu ernſthaften Redensarten gab. Er
ſuchte mich eifrigſt zu uͤberzeugen, daß Schulden
eine wichtige Ehrenſache ſeien und eines Tages,
als der Sommer ſich ſeinem Ende nahte, uͤber¬
raſchte mich Meierlein mit der Nachricht, daß er
nun »abgerechnet« habe, und zeigte mir eine runde
Zahl von mehreren Gulden nebſt einigen Kreuzern
und Pfennigen und bemerkte dabei, daß es nun
thunlich waͤre, wenn ich darauf daͤchte, ihm den
Betrag einzuhaͤndigen, indem er wuͤnſche, aus
ſeinen Erſparniſſen ſich ein ſchoͤnes Buch zu kau¬
fen. Doch erwaͤhnte er hieruͤber die naͤchſten zwei
Wochen nichts mehr und legte inzwiſchen eine
neue Rechnung an, welches er mit vermehrtem
Ernſte that und wobei er ein ſeltſames Betragen
aͤußerte. Er wurde nicht unfreundlich, aber die
alte Froͤhlichkeit und Unbefangenheit unſeres Ver¬
kehres war verſchwunden. Eine große Traurig¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/343>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.