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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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lich still und traurig, zumal die Mutter ihren
Ernst beibehielt, ab- und zuging, ohne vertraulich
mit mir zu sprechen. Am traurigsten war das
Essen, wenn wir an unserm kleinen Eßtischchen
saßen und ich nichts zu sagen wagte oder wünschte,
weil ich das Bedürfniß dieser Trauer selbst fühlte
und mir sogar darin gefiel, während meine Mutter
in tiefen Gedanken saß und manchmal einen
Seufzer unterdrückte.

So verharrte ich im Hause und gelüstete
nicht im Mindesten in's Freie und zu meinen
Genossen zurück. Höchstens betrachtete ich einmal
aus dem Fenster, was auf der Straße vorfiel,
und zog mich sogleich wieder zurück, als ob die
unheimliche Vergangenheit zu mir heranstiege.
Unter den Trümmern und Erinnerungen meines
verflogenen Wohlstandes befand sich ein großer
Farbenkasten, welcher gute Farbentafeln enthielt,
statt der harten Steinchen, die man sonst den
Knaben für Farben giebt, die aber auch den
heißesten Bemühungen nicht eine wohlwollende
Tinte preisgeben. Ich hatte schon durch Meier¬
lein erfahren, daß man nicht unmittelbar mit dem

lich ſtill und traurig, zumal die Mutter ihren
Ernſt beibehielt, ab- und zuging, ohne vertraulich
mit mir zu ſprechen. Am traurigſten war das
Eſſen, wenn wir an unſerm kleinen Eßtiſchchen
ſaßen und ich nichts zu ſagen wagte oder wuͤnſchte,
weil ich das Beduͤrfniß dieſer Trauer ſelbſt fuͤhlte
und mir ſogar darin gefiel, waͤhrend meine Mutter
in tiefen Gedanken ſaß und manchmal einen
Seufzer unterdruͤckte.

So verharrte ich im Hauſe und geluͤſtete
nicht im Mindeſten in's Freie und zu meinen
Genoſſen zuruͤck. Hoͤchſtens betrachtete ich einmal
aus dem Fenſter, was auf der Straße vorfiel,
und zog mich ſogleich wieder zuruͤck, als ob die
unheimliche Vergangenheit zu mir heranſtiege.
Unter den Truͤmmern und Erinnerungen meines
verflogenen Wohlſtandes befand ſich ein großer
Farbenkaſten, welcher gute Farbentafeln enthielt,
ſtatt der harten Steinchen, die man ſonſt den
Knaben fuͤr Farben giebt, die aber auch den
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Tinte preisgeben. Ich hatte ſchon durch Meier¬
lein erfahren, daß man nicht unmittelbar mit dem

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[335/0349] lich ſtill und traurig, zumal die Mutter ihren Ernſt beibehielt, ab- und zuging, ohne vertraulich mit mir zu ſprechen. Am traurigſten war das Eſſen, wenn wir an unſerm kleinen Eßtiſchchen ſaßen und ich nichts zu ſagen wagte oder wuͤnſchte, weil ich das Beduͤrfniß dieſer Trauer ſelbſt fuͤhlte und mir ſogar darin gefiel, waͤhrend meine Mutter in tiefen Gedanken ſaß und manchmal einen Seufzer unterdruͤckte. So verharrte ich im Hauſe und geluͤſtete nicht im Mindeſten in's Freie und zu meinen Genoſſen zuruͤck. Hoͤchſtens betrachtete ich einmal aus dem Fenſter, was auf der Straße vorfiel, und zog mich ſogleich wieder zuruͤck, als ob die unheimliche Vergangenheit zu mir heranſtiege. Unter den Truͤmmern und Erinnerungen meines verflogenen Wohlſtandes befand ſich ein großer Farbenkaſten, welcher gute Farbentafeln enthielt, ſtatt der harten Steinchen, die man ſonſt den Knaben fuͤr Farben giebt, die aber auch den heißeſten Bemuͤhungen nicht eine wohlwollende Tinte preisgeben. Ich hatte ſchon durch Meier¬ lein erfahren, daß man nicht unmittelbar mit dem

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/349>, abgerufen am 22.11.2024.