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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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liches Wort zu, wenn wir allein in der Gegend
oder nur fremde Menschen zugegen, waren wir
aber nicht allein, so murmelte er dasselbe leise vor
sich hin, daß nur ich es hören konnte. Ich haßte
ihn nun wohl so bitter, als er mich hassen konnte;
aber ich wich ihm aus und fürchtete den Augen¬
blick, wo es einmal zur Abrechnung käme. So
ging es ein volles Jahr lang und der Herbst
war wieder gekommen, wo eine große militärische
Schlußübung stattfinden sollte. Wir freuten uns
immer auf diesen Tag; weil wir da nach Herzens¬
lust schießen durften. Aber für mich waren alle
gemeinsamen Freuden trüb und kalt geworden,
da mein Feind zugleich Theil nahm und öfter in
meine Nähe gerieth. Diesmal wurde unsere
Schaar in zwei Hälften getheilt, von denen die
eine den waldigen und steilen Gipfel einer An¬
höhe besetzen, die andere aber den Fluß über¬
schreiten, den Hügel umgehen und einnehmen
sollte. Ich gehörte zu dieser, mein Feind zu jener
Abtheilung. Wir hatten schon die ganze Woche
vorher mit köstlicher Freude einen leichten, spiel¬
zeugartigen Brückenkopf gebaut und kleine Palli¬

liches Wort zu, wenn wir allein in der Gegend
oder nur fremde Menſchen zugegen, waren wir
aber nicht allein, ſo murmelte er daſſelbe leiſe vor
ſich hin, daß nur ich es hoͤren konnte. Ich haßte
ihn nun wohl ſo bitter, als er mich haſſen konnte;
aber ich wich ihm aus und fuͤrchtete den Augen¬
blick, wo es einmal zur Abrechnung kaͤme. So
ging es ein volles Jahr lang und der Herbſt
war wieder gekommen, wo eine große militaͤriſche
Schlußuͤbung ſtattfinden ſollte. Wir freuten uns
immer auf dieſen Tag; weil wir da nach Herzens¬
luſt ſchießen durften. Aber fuͤr mich waren alle
gemeinſamen Freuden truͤb und kalt geworden,
da mein Feind zugleich Theil nahm und oͤfter in
meine Naͤhe gerieth. Diesmal wurde unſere
Schaar in zwei Haͤlften getheilt, von denen die
eine den waldigen und ſteilen Gipfel einer An¬
hoͤhe beſetzen, die andere aber den Fluß uͤber¬
ſchreiten, den Huͤgel umgehen und einnehmen
ſollte. Ich gehoͤrte zu dieſer, mein Feind zu jener
Abtheilung. Wir hatten ſchon die ganze Woche
vorher mit koͤſtlicher Freude einen leichten, ſpiel¬
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[344/0358] liches Wort zu, wenn wir allein in der Gegend oder nur fremde Menſchen zugegen, waren wir aber nicht allein, ſo murmelte er daſſelbe leiſe vor ſich hin, daß nur ich es hoͤren konnte. Ich haßte ihn nun wohl ſo bitter, als er mich haſſen konnte; aber ich wich ihm aus und fuͤrchtete den Augen¬ blick, wo es einmal zur Abrechnung kaͤme. So ging es ein volles Jahr lang und der Herbſt war wieder gekommen, wo eine große militaͤriſche Schlußuͤbung ſtattfinden ſollte. Wir freuten uns immer auf dieſen Tag; weil wir da nach Herzens¬ luſt ſchießen durften. Aber fuͤr mich waren alle gemeinſamen Freuden truͤb und kalt geworden, da mein Feind zugleich Theil nahm und oͤfter in meine Naͤhe gerieth. Diesmal wurde unſere Schaar in zwei Haͤlften getheilt, von denen die eine den waldigen und ſteilen Gipfel einer An¬ hoͤhe beſetzen, die andere aber den Fluß uͤber¬ ſchreiten, den Huͤgel umgehen und einnehmen ſollte. Ich gehoͤrte zu dieſer, mein Feind zu jener Abtheilung. Wir hatten ſchon die ganze Woche vorher mit koͤſtlicher Freude einen leichten, ſpiel¬ zeugartigen Bruͤckenkopf gebaut und kleine Palli¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/358>, abgerufen am 22.11.2024.