Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

und Italiänisch gelehrt. Letztere Beiden bestritt
ich ohne Mühe, indem ich, über die grammatika¬
lischen und Vokabelnaufgaben flüchtiger hinweg¬
eilend, durch die Geläufigkeit in der Muttersprache
unterstützt, leicht errieth und daher gut in's Deutsche
übersetzte. Sollte ich dagegen von diesem in die
fremden Sprachen übersetzen, so kam mir eine
große Geschicklichkeit im augenblicklichen Nach¬
schlagen zu Statten, da ich einmal sogleich fühlte,
was tauglich und wo es zu suchen sei. Dies
täuschte die Lehrer, daß sie mich überall für gut
beschlagen hielten, mich zu denen zählten, welchen
man weniger aufmerken müsse und zufrieden
waren, wenn ich die Uebersetzungen und Styl¬
übungen pünktlich und erträglich einlieferte. Mein
deutsches Lernen hingegen konnte gar keine Arbeit,
sondern nur ein Vergnügen genannt werden.
Schon vor Jahren in der ersten Schule hatte ich
Orthographie und Interpunktion mir vollkommen
angeeignet, und wie man sprechen lernt. Nachher
hielt meine kleine Schreibkunst mit meiner Erfahrung
Schritt und was ich sagen wollte, konnte ich
richtig niederschreiben und wunderte mich, wie

und Italiaͤniſch gelehrt. Letztere Beiden beſtritt
ich ohne Muͤhe, indem ich, uͤber die grammatika¬
liſchen und Vokabelnaufgaben fluͤchtiger hinweg¬
eilend, durch die Gelaͤufigkeit in der Mutterſprache
unterſtuͤtzt, leicht errieth und daher gut in's Deutſche
uͤberſetzte. Sollte ich dagegen von dieſem in die
fremden Sprachen uͤberſetzen, ſo kam mir eine
große Geſchicklichkeit im augenblicklichen Nach¬
ſchlagen zu Statten, da ich einmal ſogleich fuͤhlte,
was tauglich und wo es zu ſuchen ſei. Dies
taͤuſchte die Lehrer, daß ſie mich uͤberall fuͤr gut
beſchlagen hielten, mich zu denen zaͤhlten, welchen
man weniger aufmerken muͤſſe und zufrieden
waren, wenn ich die Ueberſetzungen und Styl¬
uͤbungen puͤnktlich und ertraͤglich einlieferte. Mein
deutſches Lernen hingegen konnte gar keine Arbeit,
ſondern nur ein Vergnuͤgen genannt werden.
Schon vor Jahren in der erſten Schule hatte ich
Orthographie und Interpunktion mir vollkommen
angeeignet, und wie man ſprechen lernt. Nachher
hielt meine kleine Schreibkunſt mit meiner Erfahrung
Schritt und was ich ſagen wollte, konnte ich
richtig niederſchreiben und wunderte mich, wie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0370" n="356"/>
und Italia&#x0364;ni&#x017F;ch gelehrt. Letztere Beiden be&#x017F;tritt<lb/>
ich ohne Mu&#x0364;he, indem ich, u&#x0364;ber die grammatika¬<lb/>
li&#x017F;chen und Vokabelnaufgaben flu&#x0364;chtiger hinweg¬<lb/>
eilend, durch die Gela&#x0364;ufigkeit in der Mutter&#x017F;prache<lb/>
unter&#x017F;tu&#x0364;tzt, leicht errieth und daher gut in's Deut&#x017F;che<lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;etzte. Sollte ich dagegen von die&#x017F;em in die<lb/>
fremden Sprachen u&#x0364;ber&#x017F;etzen, &#x017F;o kam mir eine<lb/>
große Ge&#x017F;chicklichkeit im augenblicklichen Nach¬<lb/>
&#x017F;chlagen zu Statten, da ich einmal &#x017F;ogleich fu&#x0364;hlte,<lb/>
was tauglich und wo es zu &#x017F;uchen &#x017F;ei. Dies<lb/>
ta&#x0364;u&#x017F;chte die Lehrer, daß &#x017F;ie mich u&#x0364;berall fu&#x0364;r gut<lb/>
be&#x017F;chlagen hielten, mich zu denen za&#x0364;hlten, welchen<lb/>
man weniger aufmerken mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e und zufrieden<lb/>
waren, wenn ich die Ueber&#x017F;etzungen und Styl¬<lb/>
u&#x0364;bungen pu&#x0364;nktlich und ertra&#x0364;glich einlieferte. Mein<lb/>
deut&#x017F;ches Lernen hingegen konnte gar keine Arbeit,<lb/>
&#x017F;ondern nur ein Vergnu&#x0364;gen genannt werden.<lb/>
Schon vor Jahren in der er&#x017F;ten Schule hatte ich<lb/>
Orthographie und Interpunktion mir vollkommen<lb/>
angeeignet, und wie man &#x017F;prechen lernt. Nachher<lb/>
hielt meine kleine Schreibkun&#x017F;t mit meiner Erfahrung<lb/>
Schritt und was ich &#x017F;agen wollte, konnte ich<lb/>
richtig nieder&#x017F;chreiben und wunderte mich, wie<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[356/0370] und Italiaͤniſch gelehrt. Letztere Beiden beſtritt ich ohne Muͤhe, indem ich, uͤber die grammatika¬ liſchen und Vokabelnaufgaben fluͤchtiger hinweg¬ eilend, durch die Gelaͤufigkeit in der Mutterſprache unterſtuͤtzt, leicht errieth und daher gut in's Deutſche uͤberſetzte. Sollte ich dagegen von dieſem in die fremden Sprachen uͤberſetzen, ſo kam mir eine große Geſchicklichkeit im augenblicklichen Nach¬ ſchlagen zu Statten, da ich einmal ſogleich fuͤhlte, was tauglich und wo es zu ſuchen ſei. Dies taͤuſchte die Lehrer, daß ſie mich uͤberall fuͤr gut beſchlagen hielten, mich zu denen zaͤhlten, welchen man weniger aufmerken muͤſſe und zufrieden waren, wenn ich die Ueberſetzungen und Styl¬ uͤbungen puͤnktlich und ertraͤglich einlieferte. Mein deutſches Lernen hingegen konnte gar keine Arbeit, ſondern nur ein Vergnuͤgen genannt werden. Schon vor Jahren in der erſten Schule hatte ich Orthographie und Interpunktion mir vollkommen angeeignet, und wie man ſprechen lernt. Nachher hielt meine kleine Schreibkunſt mit meiner Erfahrung Schritt und was ich ſagen wollte, konnte ich richtig niederſchreiben und wunderte mich, wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/370
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/370>, abgerufen am 22.11.2024.