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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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Wittwe das einzige Kind vor die Thüre gestellt
hatte mit den Worten: Es ist nicht zu brauchen!

Wenn über die Rechtmäßigkeit der Todes¬
strafe ein tiefer und anhaltender Streit obwaltet,
so kann man füglich die Frage, ob der Staat
das Recht hat, ein Kind oder einen jungen Men¬
schen, die gerade nicht tobsüchtig sind, von seinem
Erziehungssysteme auszuschließen, zugleich mit in
den Kauf nehmen. Gemäß jenem Vorgange wird
man mir, wenn ich im späteren Leben in eine
ähnliche ernstere Verwicklung gerathe, bei gleichen
Verhältnissen und Richtern, wahrscheinlich den
Kopf abschlagen; denn ein Kind von der allge¬
meinen Erziehung ausschließen, heißt nichts An¬
deres, als seine innere Entwicklung, sein geistiges
Leben köpfen. Der Staat hat nicht darnach zu
fragen, ob die Bedingungen zu einer weiteren
Privatausbildung vorhanden seien, oder ob trotz
seines Aufgebens das Leben den Aufgegebenen doch
nicht fallen lasse, sondern manchmal noch etwas
Rechtes aus ihm mache: er hat sich nur an seine
Pflicht zu erinnern, die Erziehung jedes seiner
Kinder zu überwachen und zu Ende zu führen.

I. 25

Wittwe das einzige Kind vor die Thuͤre geſtellt
hatte mit den Worten: Es iſt nicht zu brauchen!

Wenn uͤber die Rechtmaͤßigkeit der Todes¬
ſtrafe ein tiefer und anhaltender Streit obwaltet,
ſo kann man fuͤglich die Frage, ob der Staat
das Recht hat, ein Kind oder einen jungen Men¬
ſchen, die gerade nicht tobſuͤchtig ſind, von ſeinem
Erziehungsſyſteme auszuſchließen, zugleich mit in
den Kauf nehmen. Gemaͤß jenem Vorgange wird
man mir, wenn ich im ſpaͤteren Leben in eine
aͤhnliche ernſtere Verwicklung gerathe, bei gleichen
Verhaͤltniſſen und Richtern, wahrſcheinlich den
Kopf abſchlagen; denn ein Kind von der allge¬
meinen Erziehung ausſchließen, heißt nichts An¬
deres, als ſeine innere Entwicklung, ſein geiſtiges
Leben koͤpfen. Der Staat hat nicht darnach zu
fragen, ob die Bedingungen zu einer weiteren
Privatausbildung vorhanden ſeien, oder ob trotz
ſeines Aufgebens das Leben den Aufgegebenen doch
nicht fallen laſſe, ſondern manchmal noch etwas
Rechtes aus ihm mache: er hat ſich nur an ſeine
Pflicht zu erinnern, die Erziehung jedes ſeiner
Kinder zu uͤberwachen und zu Ende zu fuͤhren.

I. 25
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[385/0399] Wittwe das einzige Kind vor die Thuͤre geſtellt hatte mit den Worten: Es iſt nicht zu brauchen! Wenn uͤber die Rechtmaͤßigkeit der Todes¬ ſtrafe ein tiefer und anhaltender Streit obwaltet, ſo kann man fuͤglich die Frage, ob der Staat das Recht hat, ein Kind oder einen jungen Men¬ ſchen, die gerade nicht tobſuͤchtig ſind, von ſeinem Erziehungsſyſteme auszuſchließen, zugleich mit in den Kauf nehmen. Gemaͤß jenem Vorgange wird man mir, wenn ich im ſpaͤteren Leben in eine aͤhnliche ernſtere Verwicklung gerathe, bei gleichen Verhaͤltniſſen und Richtern, wahrſcheinlich den Kopf abſchlagen; denn ein Kind von der allge¬ meinen Erziehung ausſchließen, heißt nichts An¬ deres, als ſeine innere Entwicklung, ſein geiſtiges Leben koͤpfen. Der Staat hat nicht darnach zu fragen, ob die Bedingungen zu einer weiteren Privatausbildung vorhanden ſeien, oder ob trotz ſeines Aufgebens das Leben den Aufgegebenen doch nicht fallen laſſe, ſondern manchmal noch etwas Rechtes aus ihm mache: er hat ſich nur an ſeine Pflicht zu erinnern, die Erziehung jedes ſeiner Kinder zu uͤberwachen und zu Ende zu fuͤhren. I. 25

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/399>, abgerufen am 22.11.2024.