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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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sonderbaren Verhältniß zur Schule. Dort galt
ich für Nichts weniger, als für einen talentvollen
Zeichner. Monate lang klebte der gleiche Bogen auf
meinem Reißbrette, ich quälte mich verdrossen ab,
einen kolossalen Kopf oder ein Ornament mit
dem magern Bleistifte zu kopiren, Dutzende von
Linien wurden ausgelöscht und blieben halb sicht¬
bar, bis die richtige stehen blieb, das Papier
wurde beschmutzt und durchgerieben und verkün¬
dete einen faulen und verdrießlichen Zeichner.
Sobald ich aber nach Hause kam, warf ich diese
Schulkunst bei Seite und machte mich mit eifrigem
Fleiße hinter meine Hauskunst. Nach jenem er¬
sten Versuche, eine gemalte Landschaft zu kopiren,
hatte ich fortgefahren, dergleichen Gebilde in
Wasserfarben hervorzubringen; da ich nun aber
weiter keine Vorbilder besaß, mußte ich sie auf
eigene Faust in's Leben rufen und that dieses mit
anhaltendem und dankbarem Fleiße. Der gemalte
Ofen unserer Stube enthielt eine Menge ganz
naiv poetischer kleiner Landschaftsmotive, eine
Burg, eine Brücke, einige Säulen an einem See
und solches mehr; ein altes Stammbuch der Mut¬

ſonderbaren Verhaͤltniß zur Schule. Dort galt
ich fuͤr Nichts weniger, als fuͤr einen talentvollen
Zeichner. Monate lang klebte der gleiche Bogen auf
meinem Reißbrette, ich quaͤlte mich verdroſſen ab,
einen koloſſalen Kopf oder ein Ornament mit
dem magern Bleiſtifte zu kopiren, Dutzende von
Linien wurden ausgeloͤſcht und blieben halb ſicht¬
bar, bis die richtige ſtehen blieb, das Papier
wurde beſchmutzt und durchgerieben und verkuͤn¬
dete einen faulen und verdrießlichen Zeichner.
Sobald ich aber nach Hauſe kam, warf ich dieſe
Schulkunſt bei Seite und machte mich mit eifrigem
Fleiße hinter meine Hauskunſt. Nach jenem er¬
ſten Verſuche, eine gemalte Landſchaft zu kopiren,
hatte ich fortgefahren, dergleichen Gebilde in
Waſſerfarben hervorzubringen; da ich nun aber
weiter keine Vorbilder beſaß, mußte ich ſie auf
eigene Fauſt in's Leben rufen und that dieſes mit
anhaltendem und dankbarem Fleiße. Der gemalte
Ofen unſerer Stube enthielt eine Menge ganz
naiv poetiſcher kleiner Landſchaftsmotive, eine
Burg, eine Bruͤcke, einige Saͤulen an einem See
und ſolches mehr; ein altes Stammbuch der Mut¬

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[388/0402] ſonderbaren Verhaͤltniß zur Schule. Dort galt ich fuͤr Nichts weniger, als fuͤr einen talentvollen Zeichner. Monate lang klebte der gleiche Bogen auf meinem Reißbrette, ich quaͤlte mich verdroſſen ab, einen koloſſalen Kopf oder ein Ornament mit dem magern Bleiſtifte zu kopiren, Dutzende von Linien wurden ausgeloͤſcht und blieben halb ſicht¬ bar, bis die richtige ſtehen blieb, das Papier wurde beſchmutzt und durchgerieben und verkuͤn¬ dete einen faulen und verdrießlichen Zeichner. Sobald ich aber nach Hauſe kam, warf ich dieſe Schulkunſt bei Seite und machte mich mit eifrigem Fleiße hinter meine Hauskunſt. Nach jenem er¬ ſten Verſuche, eine gemalte Landſchaft zu kopiren, hatte ich fortgefahren, dergleichen Gebilde in Waſſerfarben hervorzubringen; da ich nun aber weiter keine Vorbilder beſaß, mußte ich ſie auf eigene Fauſt in's Leben rufen und that dieſes mit anhaltendem und dankbarem Fleiße. Der gemalte Ofen unſerer Stube enthielt eine Menge ganz naiv poetiſcher kleiner Landſchaftsmotive, eine Burg, eine Bruͤcke, einige Saͤulen an einem See und ſolches mehr; ein altes Stammbuch der Mut¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/402>, abgerufen am 21.11.2024.