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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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ter, so wie eine kleine Bibliothek verjährter Damen¬
kalender aus ihrer Jugend bargen einen Schatz
sentimentaler Landschaftsbilder, dem lyrischen Texte
entsprechend, mit Tempeln, Altären und Schwä¬
nen auf Teichen, mit Liebespaaren in Kähnen
sitzend und dunklen Hainen, deren Bäume mir
unvergleichlich gestochen schienen. Aus allen Diesem
zusammen bildete sich eine höchst unschuldige und
so zu sagen elementare Poesie, welche meinem
eifrigen Machen zu Grunde lag und mich wäh¬
rend desselben beglückte. Ich erfand eigene Land¬
schaften, worin ich alle poetischen Motive reichlich
zusammenhäufte und ging von diesen auf solche
über, in denen ein einzelnes vorherrschte, zu
welchem ich immer den gleichen Wanderer in Be¬
ziehung brachte, unter dem ich, halb unbewußt,
mein eigenes Wesen ausdrückte. Denn nach dem
immerwährenden Mißlingen meines Zusammen¬
treffens mit der übrigen Welt hatte eine unge¬
bührliche Selbstbeschauung und Eigenliebe ange¬
fangen, mich zu beschleichen, ich fühlte ein weich¬
liches Mitleid mit mir selbst und liebte es, meine
symbolische Person in die interessanten Scenen

ter, ſo wie eine kleine Bibliothek verjaͤhrter Damen¬
kalender aus ihrer Jugend bargen einen Schatz
ſentimentaler Landſchaftsbilder, dem lyriſchen Texte
entſprechend, mit Tempeln, Altaͤren und Schwaͤ¬
nen auf Teichen, mit Liebespaaren in Kaͤhnen
ſitzend und dunklen Hainen, deren Baͤume mir
unvergleichlich geſtochen ſchienen. Aus allen Dieſem
zuſammen bildete ſich eine hoͤchſt unſchuldige und
ſo zu ſagen elementare Poeſie, welche meinem
eifrigen Machen zu Grunde lag und mich waͤh¬
rend deſſelben begluͤckte. Ich erfand eigene Land¬
ſchaften, worin ich alle poetiſchen Motive reichlich
zuſammenhaͤufte und ging von dieſen auf ſolche
uͤber, in denen ein einzelnes vorherrſchte, zu
welchem ich immer den gleichen Wanderer in Be¬
ziehung brachte, unter dem ich, halb unbewußt,
mein eigenes Weſen ausdruͤckte. Denn nach dem
immerwaͤhrenden Mißlingen meines Zuſammen¬
treffens mit der uͤbrigen Welt hatte eine unge¬
buͤhrliche Selbſtbeſchauung und Eigenliebe ange¬
fangen, mich zu beſchleichen, ich fuͤhlte ein weich¬
liches Mitleid mit mir ſelbſt und liebte es, meine
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[389/0403] ter, ſo wie eine kleine Bibliothek verjaͤhrter Damen¬ kalender aus ihrer Jugend bargen einen Schatz ſentimentaler Landſchaftsbilder, dem lyriſchen Texte entſprechend, mit Tempeln, Altaͤren und Schwaͤ¬ nen auf Teichen, mit Liebespaaren in Kaͤhnen ſitzend und dunklen Hainen, deren Baͤume mir unvergleichlich geſtochen ſchienen. Aus allen Dieſem zuſammen bildete ſich eine hoͤchſt unſchuldige und ſo zu ſagen elementare Poeſie, welche meinem eifrigen Machen zu Grunde lag und mich waͤh¬ rend deſſelben begluͤckte. Ich erfand eigene Land¬ ſchaften, worin ich alle poetiſchen Motive reichlich zuſammenhaͤufte und ging von dieſen auf ſolche uͤber, in denen ein einzelnes vorherrſchte, zu welchem ich immer den gleichen Wanderer in Be¬ ziehung brachte, unter dem ich, halb unbewußt, mein eigenes Weſen ausdruͤckte. Denn nach dem immerwaͤhrenden Mißlingen meines Zuſammen¬ treffens mit der uͤbrigen Welt hatte eine unge¬ buͤhrliche Selbſtbeſchauung und Eigenliebe ange¬ fangen, mich zu beſchleichen, ich fuͤhlte ein weich¬ liches Mitleid mit mir ſelbſt und liebte es, meine ſymboliſche Perſon in die intereſſanten Scenen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/403>, abgerufen am 21.11.2024.