der stillen Einschränkung und Entsagung vergan¬ gener Jahrhunderte, wo besonders die Frauen, wenn sie einmal durch einige Meilen getrennt waren, einander nicht wieder, oder nur bei sel¬ tenen, hochwichtigen Ereignissen sahen, bei wel¬ chen es alsdann wahrhaft episch herging und Thränen der Rührung und schmerzlicher oder froher Erinnerung ihren Augen entflossen, wäh¬ rend die Männer wohl sich vom Orte bewegten, aber in ernstem Geschäftssinne an den Thüren halbverschollener Verwandter vorübergingen, wenn sie keinen Rath zu bringen oder zu holen hatten. Jetzt ist das Volk wieder lebendiger geworden; durch die erleichterten Verkehrsmittel, durch das wieder erstandene öffentliche Leben und zahlreiche Volksfeste veranlaßt, bewegt es sich fröhlich von der Stelle und macht damit zugleich seinen Geist wieder jung und fruchtbar, und nur beschränkte Eiferer predigen noch gegen die festliche Wander¬ lust Derer, die den Pflug führen, und ihrer Kinder.
Meine Mutter befahl mir, insbesondere der einsamen überlebenden Großmutter so viele Zeit als möglich zu widmen und in Ehrerbietung und
der ſtillen Einſchraͤnkung und Entſagung vergan¬ gener Jahrhunderte, wo beſonders die Frauen, wenn ſie einmal durch einige Meilen getrennt waren, einander nicht wieder, oder nur bei ſel¬ tenen, hochwichtigen Ereigniſſen ſahen, bei wel¬ chen es alsdann wahrhaft epiſch herging und Thraͤnen der Ruͤhrung und ſchmerzlicher oder froher Erinnerung ihren Augen entfloſſen, waͤh¬ rend die Maͤnner wohl ſich vom Orte bewegten, aber in ernſtem Geſchaͤftsſinne an den Thuͤren halbverſchollener Verwandter voruͤbergingen, wenn ſie keinen Rath zu bringen oder zu holen hatten. Jetzt iſt das Volk wieder lebendiger geworden; durch die erleichterten Verkehrsmittel, durch das wieder erſtandene oͤffentliche Leben und zahlreiche Volksfeſte veranlaßt, bewegt es ſich froͤhlich von der Stelle und macht damit zugleich ſeinen Geiſt wieder jung und fruchtbar, und nur beſchraͤnkte Eiferer predigen noch gegen die feſtliche Wander¬ luſt Derer, die den Pflug fuͤhren, und ihrer Kinder.
Meine Mutter befahl mir, insbeſondere der einſamen uͤberlebenden Großmutter ſo viele Zeit als moͤglich zu widmen und in Ehrerbietung und
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0406"n="392"/>
der ſtillen Einſchraͤnkung und Entſagung vergan¬<lb/>
gener Jahrhunderte, wo beſonders die Frauen,<lb/>
wenn ſie einmal durch einige Meilen getrennt<lb/>
waren, einander nicht wieder, oder nur bei ſel¬<lb/>
tenen, hochwichtigen Ereigniſſen ſahen, bei wel¬<lb/>
chen es alsdann wahrhaft epiſch herging und<lb/>
Thraͤnen der Ruͤhrung und ſchmerzlicher oder<lb/>
froher Erinnerung ihren Augen entfloſſen, waͤh¬<lb/>
rend die Maͤnner wohl ſich vom Orte bewegten,<lb/>
aber in ernſtem Geſchaͤftsſinne an den Thuͤren<lb/>
halbverſchollener Verwandter voruͤbergingen, wenn<lb/>ſie keinen Rath zu bringen oder zu holen hatten.<lb/>
Jetzt iſt das Volk wieder lebendiger geworden;<lb/>
durch die erleichterten Verkehrsmittel, durch das<lb/>
wieder erſtandene oͤffentliche Leben und zahlreiche<lb/>
Volksfeſte veranlaßt, bewegt es ſich froͤhlich von<lb/>
der Stelle und macht damit zugleich ſeinen Geiſt<lb/>
wieder jung und fruchtbar, und nur beſchraͤnkte<lb/>
Eiferer predigen noch gegen die feſtliche Wander¬<lb/>
luſt Derer, die den Pflug fuͤhren, und ihrer Kinder.</p><lb/><p>Meine Mutter befahl mir, insbeſondere der<lb/>
einſamen uͤberlebenden Großmutter ſo viele Zeit<lb/>
als moͤglich zu widmen und in Ehrerbietung und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[392/0406]
der ſtillen Einſchraͤnkung und Entſagung vergan¬
gener Jahrhunderte, wo beſonders die Frauen,
wenn ſie einmal durch einige Meilen getrennt
waren, einander nicht wieder, oder nur bei ſel¬
tenen, hochwichtigen Ereigniſſen ſahen, bei wel¬
chen es alsdann wahrhaft epiſch herging und
Thraͤnen der Ruͤhrung und ſchmerzlicher oder
froher Erinnerung ihren Augen entfloſſen, waͤh¬
rend die Maͤnner wohl ſich vom Orte bewegten,
aber in ernſtem Geſchaͤftsſinne an den Thuͤren
halbverſchollener Verwandter voruͤbergingen, wenn
ſie keinen Rath zu bringen oder zu holen hatten.
Jetzt iſt das Volk wieder lebendiger geworden;
durch die erleichterten Verkehrsmittel, durch das
wieder erſtandene oͤffentliche Leben und zahlreiche
Volksfeſte veranlaßt, bewegt es ſich froͤhlich von
der Stelle und macht damit zugleich ſeinen Geiſt
wieder jung und fruchtbar, und nur beſchraͤnkte
Eiferer predigen noch gegen die feſtliche Wander¬
luſt Derer, die den Pflug fuͤhren, und ihrer Kinder.
Meine Mutter befahl mir, insbeſondere der
einſamen uͤberlebenden Großmutter ſo viele Zeit
als moͤglich zu widmen und in Ehrerbietung und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/406>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.