Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

gewissermaßen zu ihm herauf hob, statt noch mehr
abwärts zu drücken, und je nach dem besonderen
Erscheinen des Bittenden, leuchtete aus Heinrichs
Augen ein Strahl des Verständnisses, der unbe¬
fangenen Theilnahme, eines sinnigen Humores
oder auch ein Anflug mürrischen, lakonischen Vor¬
wurfes; immer aber gab er und die von ihm
Beschenkten blieben oft überrascht und nachdenk¬
lich stehen. Weil Gewohnheit und Sitte nur
eine kleine Gabe, ein Unmerkliches verlangen, so
hielt er es um so mehr für würdelos, je einen
Armen erfolglos bitten zu lassen, möge nun ge¬
holfen werden oder nicht, möge Erleichterung oder
Liederlichkeit gepflanzt werden; ein gewisser mensch¬
licher Anstand schien ihm unbedingt zu gebieten,
daß mit einer Art Zuvorkommenheit diese kleinen
Angelegenheiten abgethan würden. Er hatte noch
nicht die Kenntniß erworben, daß bei dem faulen
und haltlosen Theile der Armen durch wieder¬
holtes Abweisen jenes Gekränktsein und dadurch
jener Stolz geweckt werden müssen, welche end¬
lich Selbstvertrauen hervorbringen.

Allein bisher war es ihm nur spärlich ver¬

gewiſſermaßen zu ihm herauf hob, ſtatt noch mehr
abwaͤrts zu druͤcken, und je nach dem beſonderen
Erſcheinen des Bittenden, leuchtete aus Heinrichs
Augen ein Strahl des Verſtaͤndniſſes, der unbe¬
fangenen Theilnahme, eines ſinnigen Humores
oder auch ein Anflug muͤrriſchen, lakoniſchen Vor¬
wurfes; immer aber gab er und die von ihm
Beſchenkten blieben oft uͤberraſcht und nachdenk¬
lich ſtehen. Weil Gewohnheit und Sitte nur
eine kleine Gabe, ein Unmerkliches verlangen, ſo
hielt er es um ſo mehr fuͤr wuͤrdelos, je einen
Armen erfolglos bitten zu laſſen, moͤge nun ge¬
holfen werden oder nicht, moͤge Erleichterung oder
Liederlichkeit gepflanzt werden; ein gewiſſer menſch¬
licher Anſtand ſchien ihm unbedingt zu gebieten,
daß mit einer Art Zuvorkommenheit dieſe kleinen
Angelegenheiten abgethan wuͤrden. Er hatte noch
nicht die Kenntniß erworben, daß bei dem faulen
und haltloſen Theile der Armen durch wieder¬
holtes Abweiſen jenes Gekraͤnktſein und dadurch
jener Stolz geweckt werden muͤſſen, welche end¬
lich Selbſtvertrauen hervorbringen.

Allein bisher war es ihm nur ſpaͤrlich ver¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0046" n="32"/>
gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen zu ihm herauf hob, &#x017F;tatt noch mehr<lb/>
abwa&#x0364;rts zu dru&#x0364;cken, und je nach dem be&#x017F;onderen<lb/>
Er&#x017F;cheinen des Bittenden, leuchtete aus Heinrichs<lb/>
Augen ein Strahl des Ver&#x017F;ta&#x0364;ndni&#x017F;&#x017F;es, der unbe¬<lb/>
fangenen Theilnahme, eines &#x017F;innigen Humores<lb/>
oder auch ein Anflug mu&#x0364;rri&#x017F;chen, lakoni&#x017F;chen Vor¬<lb/>
wurfes; immer aber gab er und die von ihm<lb/>
Be&#x017F;chenkten blieben oft u&#x0364;berra&#x017F;cht und nachdenk¬<lb/>
lich &#x017F;tehen. Weil Gewohnheit und Sitte nur<lb/>
eine kleine Gabe, ein Unmerkliches verlangen, &#x017F;o<lb/>
hielt er es um &#x017F;o mehr fu&#x0364;r wu&#x0364;rdelos, je einen<lb/>
Armen erfolglos bitten zu la&#x017F;&#x017F;en, mo&#x0364;ge nun ge¬<lb/>
holfen werden oder nicht, mo&#x0364;ge Erleichterung oder<lb/>
Liederlichkeit gepflanzt werden; ein gewi&#x017F;&#x017F;er men&#x017F;ch¬<lb/>
licher An&#x017F;tand &#x017F;chien ihm unbedingt zu gebieten,<lb/>
daß mit einer Art Zuvorkommenheit die&#x017F;e kleinen<lb/>
Angelegenheiten abgethan wu&#x0364;rden. Er hatte noch<lb/>
nicht die Kenntniß erworben, daß bei dem faulen<lb/>
und haltlo&#x017F;en Theile der Armen durch wieder¬<lb/>
holtes Abwei&#x017F;en jenes Gekra&#x0364;nkt&#x017F;ein und dadurch<lb/>
jener Stolz geweckt werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, welche end¬<lb/>
lich Selb&#x017F;tvertrauen hervorbringen.</p><lb/>
        <p>Allein bisher war es ihm nur &#x017F;pa&#x0364;rlich ver¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0046] gewiſſermaßen zu ihm herauf hob, ſtatt noch mehr abwaͤrts zu druͤcken, und je nach dem beſonderen Erſcheinen des Bittenden, leuchtete aus Heinrichs Augen ein Strahl des Verſtaͤndniſſes, der unbe¬ fangenen Theilnahme, eines ſinnigen Humores oder auch ein Anflug muͤrriſchen, lakoniſchen Vor¬ wurfes; immer aber gab er und die von ihm Beſchenkten blieben oft uͤberraſcht und nachdenk¬ lich ſtehen. Weil Gewohnheit und Sitte nur eine kleine Gabe, ein Unmerkliches verlangen, ſo hielt er es um ſo mehr fuͤr wuͤrdelos, je einen Armen erfolglos bitten zu laſſen, moͤge nun ge¬ holfen werden oder nicht, moͤge Erleichterung oder Liederlichkeit gepflanzt werden; ein gewiſſer menſch¬ licher Anſtand ſchien ihm unbedingt zu gebieten, daß mit einer Art Zuvorkommenheit dieſe kleinen Angelegenheiten abgethan wuͤrden. Er hatte noch nicht die Kenntniß erworben, daß bei dem faulen und haltloſen Theile der Armen durch wieder¬ holtes Abweiſen jenes Gekraͤnktſein und dadurch jener Stolz geweckt werden muͤſſen, welche end¬ lich Selbſtvertrauen hervorbringen. Allein bisher war es ihm nur ſpaͤrlich ver¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/46
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/46>, abgerufen am 21.11.2024.