Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

gönnt, dem Zuge seines Herzens zu folgen. In¬
dem er als einziges Kind bei seiner vorsichtigen
und haushälterischen Mutter lebte, welche, wäh¬
rend er seinen Träumen nachhing, ihm so zu sa¬
gen den Löffel in die Hand gab, geschah es sel¬
ten, daß er mit etwelcher Münze versehen und
wenn er es war, so brannte sie ihm in der Hand,
bis er sie ausgegeben hatte. So kam es, daß
ihn immer ein Schrecken überfiel, sobald er von
fern einen Bettler ahnte und ihm auszuweichen
suchte. Konnte dies nicht geschehen, so ging er
rasch abweisend vorbei, und wenn der Bettler
nachlief, hüllte er seine Verlegenheit in einen
rauhen, unwilligen Ton, wobei aber sein weißes
Gesicht eine flammende Röthe überlief. Er konnte
so rechte Unglückstage haben, wo er viele und
verschiedenste arme Teufel antraf, ohne einem
Einzigen etwas geben zu können und er mußte
fortwährend ein böses Gesicht machen; denn als
er einst ganz gemüthlich und vertraulich einem
großen Schlingel gesagt hatte, er besäße selbst
kein Geld, forderte ihn dieser höhnisch auf, mit
ihm betteln zu gehen. In allem diesen lag nun

I. 3

goͤnnt, dem Zuge ſeines Herzens zu folgen. In¬
dem er als einziges Kind bei ſeiner vorſichtigen
und haushaͤlteriſchen Mutter lebte, welche, waͤh¬
rend er ſeinen Traͤumen nachhing, ihm ſo zu ſa¬
gen den Loͤffel in die Hand gab, geſchah es ſel¬
ten, daß er mit etwelcher Muͤnze verſehen und
wenn er es war, ſo brannte ſie ihm in der Hand,
bis er ſie ausgegeben hatte. So kam es, daß
ihn immer ein Schrecken uͤberfiel, ſobald er von
fern einen Bettler ahnte und ihm auszuweichen
ſuchte. Konnte dies nicht geſchehen, ſo ging er
raſch abweiſend vorbei, und wenn der Bettler
nachlief, huͤllte er ſeine Verlegenheit in einen
rauhen, unwilligen Ton, wobei aber ſein weißes
Geſicht eine flammende Roͤthe uͤberlief. Er konnte
ſo rechte Ungluͤckstage haben, wo er viele und
verſchiedenſte arme Teufel antraf, ohne einem
Einzigen etwas geben zu koͤnnen und er mußte
fortwaͤhrend ein boͤſes Geſicht machen; denn als
er einſt ganz gemuͤthlich und vertraulich einem
großen Schlingel geſagt hatte, er beſaͤße ſelbſt
kein Geld, forderte ihn dieſer hoͤhniſch auf, mit
ihm betteln zu gehen. In allem dieſen lag nun

I. 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0047" n="33"/>
go&#x0364;nnt, dem Zuge &#x017F;eines Herzens zu folgen. In¬<lb/>
dem er als einziges Kind bei &#x017F;einer vor&#x017F;ichtigen<lb/>
und hausha&#x0364;lteri&#x017F;chen Mutter lebte, welche, wa&#x0364;<lb/>
rend er &#x017F;einen Tra&#x0364;umen nachhing, ihm &#x017F;o zu &#x017F;<lb/>
gen den Lo&#x0364;ffel in die Hand gab, ge&#x017F;chah es &#x017F;el¬<lb/>
ten, daß er mit etwelcher Mu&#x0364;nze ver&#x017F;ehen und<lb/>
wenn er es war, &#x017F;o brannte &#x017F;ie ihm in der Hand,<lb/>
bis er &#x017F;ie ausgegeben hatte. So kam es, daß<lb/>
ihn immer ein Schrecken u&#x0364;berfiel, &#x017F;obald er von<lb/>
fern einen Bettler ahnte und ihm auszuweichen<lb/>
&#x017F;uchte. Konnte dies nicht ge&#x017F;chehen, &#x017F;o ging er<lb/>
ra&#x017F;ch abwei&#x017F;end vorbei, und wenn der Bettler<lb/>
nachlief, hu&#x0364;llte er &#x017F;eine Verlegenheit in einen<lb/>
rauhen, unwilligen Ton, wobei aber &#x017F;ein weißes<lb/>
Ge&#x017F;icht eine flammende Ro&#x0364;the u&#x0364;berlief. Er konnte<lb/>
&#x017F;o rechte Unglu&#x0364;ckstage haben, wo er viele und<lb/>
ver&#x017F;chieden&#x017F;te arme Teufel antraf, ohne einem<lb/>
Einzigen etwas geben zu ko&#x0364;nnen und er mußte<lb/>
fortwa&#x0364;hrend ein bo&#x0364;&#x017F;es Ge&#x017F;icht machen; denn als<lb/>
er ein&#x017F;t ganz gemu&#x0364;thlich und vertraulich einem<lb/>
großen Schlingel ge&#x017F;agt hatte, er be&#x017F;a&#x0364;ße &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
kein Geld, forderte ihn die&#x017F;er ho&#x0364;hni&#x017F;ch auf, mit<lb/>
ihm betteln zu gehen. In allem die&#x017F;en lag nun<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">I. 3<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[33/0047] goͤnnt, dem Zuge ſeines Herzens zu folgen. In¬ dem er als einziges Kind bei ſeiner vorſichtigen und haushaͤlteriſchen Mutter lebte, welche, waͤh¬ rend er ſeinen Traͤumen nachhing, ihm ſo zu ſa¬ gen den Loͤffel in die Hand gab, geſchah es ſel¬ ten, daß er mit etwelcher Muͤnze verſehen und wenn er es war, ſo brannte ſie ihm in der Hand, bis er ſie ausgegeben hatte. So kam es, daß ihn immer ein Schrecken uͤberfiel, ſobald er von fern einen Bettler ahnte und ihm auszuweichen ſuchte. Konnte dies nicht geſchehen, ſo ging er raſch abweiſend vorbei, und wenn der Bettler nachlief, huͤllte er ſeine Verlegenheit in einen rauhen, unwilligen Ton, wobei aber ſein weißes Geſicht eine flammende Roͤthe uͤberlief. Er konnte ſo rechte Ungluͤckstage haben, wo er viele und verſchiedenſte arme Teufel antraf, ohne einem Einzigen etwas geben zu koͤnnen und er mußte fortwaͤhrend ein boͤſes Geſicht machen; denn als er einſt ganz gemuͤthlich und vertraulich einem großen Schlingel geſagt hatte, er beſaͤße ſelbſt kein Geld, forderte ihn dieſer hoͤhniſch auf, mit ihm betteln zu gehen. In allem dieſen lag nun I. 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/47
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/47>, abgerufen am 21.11.2024.