da, das Volk war schweigsam und eintönig in seinem Aussehen. Aber Heinrich besaß eine un¬ verwüstliche Pietät für die Natur; wo keine Ge¬ birge und Ströme waren, da fand er jedes Ge¬ hölz, einen stillen Ackergrund, einen besonnten Hügel reizend um der "Stimmung" willen, die darauf lag, und seine Verbündeten waren hierbei die Atmosphäre und die Sonne, welche ihm je¬ den Busch zu Etwas gestalten halfen. Und schon früh hatte er, ohne theoretische Einpflanzung, un¬ bewußt, die glückliche Gabe, das wahre Schöne von dem bloß Malerischen, was Vielen ihr Leben lang im Sinne steckt, trennen zu können. Diese Gabe bestand in einem treuen Gedächtniß für Leben und Bedeutung der Dinge, in der Freude über ihre Gesundheit und volle Entwicklung, in einer Freude, welche den äußern Formenreichthum vergessen kann, der oft eigentlich mehr ein Baro¬ ckes als Schönes ist. So war er im Stande, einen mächtig in den Himmel strebenden Tannen¬ baum mit frohem Auge zu betrachten, während ein Anderer denselben sogleich auf die Kunst be¬ zog und die störende steife Linie hinweg wünschte
da, das Volk war ſchweigſam und eintoͤnig in ſeinem Ausſehen. Aber Heinrich beſaß eine un¬ verwuͤſtliche Pietaͤt fuͤr die Natur; wo keine Ge¬ birge und Stroͤme waren, da fand er jedes Ge¬ hoͤlz, einen ſtillen Ackergrund, einen beſonnten Huͤgel reizend um der »Stimmung« willen, die darauf lag, und ſeine Verbuͤndeten waren hierbei die Atmoſphaͤre und die Sonne, welche ihm je¬ den Buſch zu Etwas geſtalten halfen. Und ſchon fruͤh hatte er, ohne theoretiſche Einpflanzung, un¬ bewußt, die gluͤckliche Gabe, das wahre Schoͤne von dem bloß Maleriſchen, was Vielen ihr Leben lang im Sinne ſteckt, trennen zu koͤnnen. Dieſe Gabe beſtand in einem treuen Gedaͤchtniß fuͤr Leben und Bedeutung der Dinge, in der Freude uͤber ihre Geſundheit und volle Entwicklung, in einer Freude, welche den aͤußern Formenreichthum vergeſſen kann, der oft eigentlich mehr ein Baro¬ ckes als Schoͤnes iſt. So war er im Stande, einen maͤchtig in den Himmel ſtrebenden Tannen¬ baum mit frohem Auge zu betrachten, waͤhrend ein Anderer denſelben ſogleich auf die Kunſt be¬ zog und die ſtoͤrende ſteife Linie hinweg wuͤnſchte
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da, das Volk war ſchweigſam und eintoͤnig in
ſeinem Ausſehen. Aber Heinrich beſaß eine un¬
verwuͤſtliche Pietaͤt fuͤr die Natur; wo keine Ge¬
birge und Stroͤme waren, da fand er jedes Ge¬
hoͤlz, einen ſtillen Ackergrund, einen beſonnten
Huͤgel reizend um der »Stimmung« willen, die
darauf lag, und ſeine Verbuͤndeten waren hierbei
die Atmoſphaͤre und die Sonne, welche ihm je¬
den Buſch zu Etwas geſtalten halfen. Und ſchon
fruͤh hatte er, ohne theoretiſche Einpflanzung, un¬
bewußt, die gluͤckliche Gabe, das wahre Schoͤne
von dem bloß Maleriſchen, was Vielen ihr Leben
lang im Sinne ſteckt, trennen zu koͤnnen. Dieſe
Gabe beſtand in einem treuen Gedaͤchtniß fuͤr
Leben und Bedeutung der Dinge, in der Freude
uͤber ihre Geſundheit und volle Entwicklung, in
einer Freude, welche den aͤußern Formenreichthum
vergeſſen kann, der oft eigentlich mehr ein Baro¬
ckes als Schoͤnes iſt. So war er im Stande,
einen maͤchtig in den Himmel ſtrebenden Tannen¬
baum mit frohem Auge zu betrachten, waͤhrend
ein Anderer denſelben ſogleich auf die Kunſt be¬
zog und die ſtoͤrende ſteife Linie hinweg wuͤnſchte
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/72>, abgerufen am 24.11.2024.
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