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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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ähnlichen, schönen Landschaft, eine Menge nachbar¬
licher Berührungen bei der gemeinsamen Zähigkeit,
den Boden unabhängig zu erhalten, haben ein
von jedem andern Nationalleben unterschiedenes
Bundesleben hervorgebracht, welches allen seinen
Theilnehmern wieder einen gleichmäßigen Charak¬
ter bis in die feineren Schattirungen der Sitten
und Sinnesart verliehen hat. Und je mehr wir
uns in diesem Zustande geborgen glauben vor
der Verwirrung, die uns überall umgibt, je mehr
wir die träumerische Ohnmacht der altersgrauen
großen Nationalerinnerungen, welche sich auf
Sprache und Farbe der Haare stützen, rings um
uns zu erkennen glauben, desto hartnäckiger hal¬
ten wir an unserem schweizerischen Sinne fest.
So kann man wohl sagen, nicht die Nationalität
gibt uns Ideen, sondern eine unsichtbare, in die¬
sen Bergen schwebende Idee hat sich diese eigen¬
thümliche Nationalität zu ihrer Verkörperung ge¬
schaffen."

"Ich kann mich nun," versetzte der Graf,
"allerdings schon leichter in dieses sonderbare
Nationalgefühl hineindenken, muß aber um so

aͤhnlichen, ſchoͤnen Landſchaft, eine Menge nachbar¬
licher Beruͤhrungen bei der gemeinſamen Zaͤhigkeit,
den Boden unabhaͤngig zu erhalten, haben ein
von jedem andern Nationalleben unterſchiedenes
Bundesleben hervorgebracht, welches allen ſeinen
Theilnehmern wieder einen gleichmaͤßigen Charak¬
ter bis in die feineren Schattirungen der Sitten
und Sinnesart verliehen hat. Und je mehr wir
uns in dieſem Zuſtande geborgen glauben vor
der Verwirrung, die uns uͤberall umgibt, je mehr
wir die traͤumeriſche Ohnmacht der altersgrauen
großen Nationalerinnerungen, welche ſich auf
Sprache und Farbe der Haare ſtuͤtzen, rings um
uns zu erkennen glauben, deſto hartnaͤckiger hal¬
ten wir an unſerem ſchweizeriſchen Sinne feſt.
So kann man wohl ſagen, nicht die Nationalitaͤt
gibt uns Ideen, ſondern eine unſichtbare, in die¬
ſen Bergen ſchwebende Idee hat ſich dieſe eigen¬
thuͤmliche Nationalitaͤt zu ihrer Verkoͤrperung ge¬
ſchaffen.«

»Ich kann mich nun,« verſetzte der Graf,
»allerdings ſchon leichter in dieſes ſonderbare
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[77/0091] aͤhnlichen, ſchoͤnen Landſchaft, eine Menge nachbar¬ licher Beruͤhrungen bei der gemeinſamen Zaͤhigkeit, den Boden unabhaͤngig zu erhalten, haben ein von jedem andern Nationalleben unterſchiedenes Bundesleben hervorgebracht, welches allen ſeinen Theilnehmern wieder einen gleichmaͤßigen Charak¬ ter bis in die feineren Schattirungen der Sitten und Sinnesart verliehen hat. Und je mehr wir uns in dieſem Zuſtande geborgen glauben vor der Verwirrung, die uns uͤberall umgibt, je mehr wir die traͤumeriſche Ohnmacht der altersgrauen großen Nationalerinnerungen, welche ſich auf Sprache und Farbe der Haare ſtuͤtzen, rings um uns zu erkennen glauben, deſto hartnaͤckiger hal¬ ten wir an unſerem ſchweizeriſchen Sinne feſt. So kann man wohl ſagen, nicht die Nationalitaͤt gibt uns Ideen, ſondern eine unſichtbare, in die¬ ſen Bergen ſchwebende Idee hat ſich dieſe eigen¬ thuͤmliche Nationalitaͤt zu ihrer Verkoͤrperung ge¬ ſchaffen.« »Ich kann mich nun,« verſetzte der Graf, »allerdings ſchon leichter in dieſes ſonderbare Nationalgefuͤhl hineindenken, muß aber um ſo

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/91>, abgerufen am 21.11.2024.