übergehen, und wie bis zur dumpfen Verzweif¬ lung sich Ungeschmack und Unsinn jeden andern Tag wieder so breit macht, als wäre er nie über¬ wunden worden!"
Mit diesen Worten stieß der Graf einen ziem¬ lichen Seufzer aus; Heinrich aber schüttelte den Kopf und sagte:
"Nein, nein! erstens thun Sie sich selbst un¬ recht und zweitens können wir uns doch nicht abschließen! Zu einer guten patriotischen Existenz braucht es jederzeit nicht mehr und nicht weniger Mitglieder, als gerade vorhanden sind. Mit den Culturdingen ist es anders; da sind vor Allem gute Einfälle, so viel als immer möglich, noth¬ wendig, und daß deren in vierzig Millionen Köpfen mehrere entstehen, als nur in zwei Mil¬ lionen, ist außer Zweifel!"
"Das ist freilich ein praktischer und triftiger Grund!" sagte der Graf mit herzlichem Lachen, "ich will Ihnen ferner auch Nichts einwenden und wünsche Ihrer Jugend wie Ihren Hoffnun¬ gen das beste Gedeihen. Es sollte mich recht freuen, später einmal zu erfahren, wie Sie Ihre
uͤbergehen, und wie bis zur dumpfen Verzweif¬ lung ſich Ungeſchmack und Unſinn jeden andern Tag wieder ſo breit macht, als waͤre er nie uͤber¬ wunden worden!«
Mit dieſen Worten ſtieß der Graf einen ziem¬ lichen Seufzer aus; Heinrich aber ſchuͤttelte den Kopf und ſagte:
»Nein, nein! erſtens thun Sie ſich ſelbſt un¬ recht und zweitens koͤnnen wir uns doch nicht abſchließen! Zu einer guten patriotiſchen Exiſtenz braucht es jederzeit nicht mehr und nicht weniger Mitglieder, als gerade vorhanden ſind. Mit den Culturdingen iſt es anders; da ſind vor Allem gute Einfaͤlle, ſo viel als immer moͤglich, noth¬ wendig, und daß deren in vierzig Millionen Koͤpfen mehrere entſtehen, als nur in zwei Mil¬ lionen, iſt außer Zweifel!«
»Das iſt freilich ein praktiſcher und triftiger Grund!« ſagte der Graf mit herzlichem Lachen, »ich will Ihnen ferner auch Nichts einwenden und wuͤnſche Ihrer Jugend wie Ihren Hoffnun¬ gen das beſte Gedeihen. Es ſollte mich recht freuen, ſpaͤter einmal zu erfahren, wie Sie Ihre
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0094"n="80"/>
uͤbergehen, und wie bis zur dumpfen Verzweif¬<lb/>
lung ſich Ungeſchmack und Unſinn jeden andern<lb/>
Tag wieder ſo breit macht, als waͤre er nie uͤber¬<lb/>
wunden worden!«</p><lb/><p>Mit dieſen Worten ſtieß der Graf einen ziem¬<lb/>
lichen Seufzer aus; Heinrich aber ſchuͤttelte den<lb/>
Kopf und ſagte:</p><lb/><p>»Nein, nein! erſtens thun Sie ſich ſelbſt un¬<lb/>
recht und zweitens koͤnnen wir uns doch nicht<lb/>
abſchließen! Zu einer guten patriotiſchen Exiſtenz<lb/>
braucht es jederzeit nicht mehr und nicht weniger<lb/>
Mitglieder, als gerade vorhanden ſind. Mit den<lb/>
Culturdingen iſt es anders; da ſind vor Allem<lb/>
gute Einfaͤlle, ſo viel als immer moͤglich, noth¬<lb/>
wendig, und daß deren in vierzig Millionen<lb/>
Koͤpfen mehrere entſtehen, als nur in zwei Mil¬<lb/>
lionen, iſt außer Zweifel!«</p><lb/><p>»Das iſt freilich ein praktiſcher und triftiger<lb/>
Grund!« ſagte der Graf mit herzlichem Lachen,<lb/>
»ich will Ihnen ferner auch Nichts einwenden<lb/>
und wuͤnſche Ihrer Jugend wie Ihren Hoffnun¬<lb/>
gen das beſte Gedeihen. Es ſollte mich recht<lb/>
freuen, ſpaͤter einmal zu erfahren, wie Sie Ihre<lb/></p></div></body></text></TEI>
[80/0094]
uͤbergehen, und wie bis zur dumpfen Verzweif¬
lung ſich Ungeſchmack und Unſinn jeden andern
Tag wieder ſo breit macht, als waͤre er nie uͤber¬
wunden worden!«
Mit dieſen Worten ſtieß der Graf einen ziem¬
lichen Seufzer aus; Heinrich aber ſchuͤttelte den
Kopf und ſagte:
»Nein, nein! erſtens thun Sie ſich ſelbſt un¬
recht und zweitens koͤnnen wir uns doch nicht
abſchließen! Zu einer guten patriotiſchen Exiſtenz
braucht es jederzeit nicht mehr und nicht weniger
Mitglieder, als gerade vorhanden ſind. Mit den
Culturdingen iſt es anders; da ſind vor Allem
gute Einfaͤlle, ſo viel als immer moͤglich, noth¬
wendig, und daß deren in vierzig Millionen
Koͤpfen mehrere entſtehen, als nur in zwei Mil¬
lionen, iſt außer Zweifel!«
»Das iſt freilich ein praktiſcher und triftiger
Grund!« ſagte der Graf mit herzlichem Lachen,
»ich will Ihnen ferner auch Nichts einwenden
und wuͤnſche Ihrer Jugend wie Ihren Hoffnun¬
gen das beſte Gedeihen. Es ſollte mich recht
freuen, ſpaͤter einmal zu erfahren, wie Sie Ihre
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/94>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.