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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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und schämte mich dergestalt, daß ich ohne zu
sprechen den Berg hinanstürmte und das arme
Kind mir beinahe nicht folgen konnte. Sie ließ
sich dies nicht ansehen, sondern schritt tapfer aus,
und sobald wir allein waren, fing sie ganz ge¬
läufig und sicher an zu plaudern über die Wege,
welche sie mir zeigen mußte, über das Feld, über
den Wald, wem diese und jene Parzelle gehöre
und wie es hier und dort vor wenigen Jahren
noch gewesen sei. Ich wußte wenig zu erwiedern,
während ich aufmerksam zuhörte und jedes Wort
wie einen Tropfen Muskatwein verschlang; meine
Eile hatte schon nachgelassen, als wir die Höhe
des Berges erreichten und auf seiner Ebene ge¬
mächlich dahingingen. Der funkelnde Sternhim¬
mel hing weit gebreitet über dem Lande und
doch war es dunkel auf dem Berge, und die
Dunkelheit band uns näher zusammen, da wir,
unsere Gesichter kaum sehend, einander auch bes¬
ser zu hören glaubten, wenn wir uns fest zu¬
sammenhielten. Das Wasser rauschte vertraulich
im fernen Thale, hier und da sahen wir ein
mattes Licht auf der dunklen Erde glimmen,

und ſchaͤmte mich dergeſtalt, daß ich ohne zu
ſprechen den Berg hinanſtuͤrmte und das arme
Kind mir beinahe nicht folgen konnte. Sie ließ
ſich dies nicht anſehen, ſondern ſchritt tapfer aus,
und ſobald wir allein waren, fing ſie ganz ge¬
laͤufig und ſicher an zu plaudern uͤber die Wege,
welche ſie mir zeigen mußte, uͤber das Feld, uͤber
den Wald, wem dieſe und jene Parzelle gehoͤre
und wie es hier und dort vor wenigen Jahren
noch geweſen ſei. Ich wußte wenig zu erwiedern,
waͤhrend ich aufmerkſam zuhoͤrte und jedes Wort
wie einen Tropfen Muskatwein verſchlang; meine
Eile hatte ſchon nachgelaſſen, als wir die Hoͤhe
des Berges erreichten und auf ſeiner Ebene ge¬
maͤchlich dahingingen. Der funkelnde Sternhim¬
mel hing weit gebreitet uͤber dem Lande und
doch war es dunkel auf dem Berge, und die
Dunkelheit band uns naͤher zuſammen, da wir,
unſere Geſichter kaum ſehend, einander auch beſ¬
ſer zu hoͤren glaubten, wenn wir uns feſt zu¬
ſammenhielten. Das Waſſer rauſchte vertraulich
im fernen Thale, hier und da ſahen wir ein
mattes Licht auf der dunklen Erde glimmen,

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[104/0114] und ſchaͤmte mich dergeſtalt, daß ich ohne zu ſprechen den Berg hinanſtuͤrmte und das arme Kind mir beinahe nicht folgen konnte. Sie ließ ſich dies nicht anſehen, ſondern ſchritt tapfer aus, und ſobald wir allein waren, fing ſie ganz ge¬ laͤufig und ſicher an zu plaudern uͤber die Wege, welche ſie mir zeigen mußte, uͤber das Feld, uͤber den Wald, wem dieſe und jene Parzelle gehoͤre und wie es hier und dort vor wenigen Jahren noch geweſen ſei. Ich wußte wenig zu erwiedern, waͤhrend ich aufmerkſam zuhoͤrte und jedes Wort wie einen Tropfen Muskatwein verſchlang; meine Eile hatte ſchon nachgelaſſen, als wir die Hoͤhe des Berges erreichten und auf ſeiner Ebene ge¬ maͤchlich dahingingen. Der funkelnde Sternhim¬ mel hing weit gebreitet uͤber dem Lande und doch war es dunkel auf dem Berge, und die Dunkelheit band uns naͤher zuſammen, da wir, unſere Geſichter kaum ſehend, einander auch beſ¬ ſer zu hoͤren glaubten, wenn wir uns feſt zu¬ ſammenhielten. Das Waſſer rauſchte vertraulich im fernen Thale, hier und da ſahen wir ein mattes Licht auf der dunklen Erde glimmen,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/114>, abgerufen am 27.11.2024.