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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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stillschweigend geschlossenen Freundschaft, als vor¬
her. Kaum war ich aus dem Bereiche des Hau¬
ses, so schlug ich das blumige weiche Tuch, das
mir eine Wolke des Himmels zu sein dünkte, um
Kopf und Schultern, und tanzte darin wie ein
Besessener über den nächtlichen Berg. Als ich
auf seiner Höhe war unter den Sternen, schlug
es unten im Dorfe Mitternacht, die Stille war
nun nah und fern so tief geworden, daß sie in
ein geisterhaftes Getöse überzugehen schien, und
nur, wenn sich diese Täuschung zerstreute und
man gesammelt horchte, rauschte und zog der
Fluß immer vernehmlich doch leise, wie ein im
Traume klagendes Kind. Ein seliger Schauer
schien, als ich einen Augenblick stand wie fest¬
gebannt, rings vom Gesichtskreise heranzuzittern
an den Berg, in immer engeren Zirkeln bis an
mein Herz heran. Das Glück des Lebens schien
seinen Rundgang über die schlafende Welt zu
machen und, mich auf dem Berge wachend fin¬
dend, mich an die Hand und für immer an seine
Seite zu nehmen. Ich entledigte mich andächtig
meiner närrischen Umhüllung, legte sie zusammen,

ſtillſchweigend geſchloſſenen Freundſchaft, als vor¬
her. Kaum war ich aus dem Bereiche des Hau¬
ſes, ſo ſchlug ich das blumige weiche Tuch, das
mir eine Wolke des Himmels zu ſein duͤnkte, um
Kopf und Schultern, und tanzte darin wie ein
Beſeſſener uͤber den naͤchtlichen Berg. Als ich
auf ſeiner Hoͤhe war unter den Sternen, ſchlug
es unten im Dorfe Mitternacht, die Stille war
nun nah und fern ſo tief geworden, daß ſie in
ein geiſterhaftes Getoͤſe uͤberzugehen ſchien, und
nur, wenn ſich dieſe Taͤuſchung zerſtreute und
man geſammelt horchte, rauſchte und zog der
Fluß immer vernehmlich doch leiſe, wie ein im
Traume klagendes Kind. Ein ſeliger Schauer
ſchien, als ich einen Augenblick ſtand wie feſt¬
gebannt, rings vom Geſichtskreiſe heranzuzittern
an den Berg, in immer engeren Zirkeln bis an
mein Herz heran. Das Gluͤck des Lebens ſchien
ſeinen Rundgang uͤber die ſchlafende Welt zu
machen und, mich auf dem Berge wachend fin¬
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[107/0117] ſtillſchweigend geſchloſſenen Freundſchaft, als vor¬ her. Kaum war ich aus dem Bereiche des Hau¬ ſes, ſo ſchlug ich das blumige weiche Tuch, das mir eine Wolke des Himmels zu ſein duͤnkte, um Kopf und Schultern, und tanzte darin wie ein Beſeſſener uͤber den naͤchtlichen Berg. Als ich auf ſeiner Hoͤhe war unter den Sternen, ſchlug es unten im Dorfe Mitternacht, die Stille war nun nah und fern ſo tief geworden, daß ſie in ein geiſterhaftes Getoͤſe uͤberzugehen ſchien, und nur, wenn ſich dieſe Taͤuſchung zerſtreute und man geſammelt horchte, rauſchte und zog der Fluß immer vernehmlich doch leiſe, wie ein im Traume klagendes Kind. Ein ſeliger Schauer ſchien, als ich einen Augenblick ſtand wie feſt¬ gebannt, rings vom Geſichtskreiſe heranzuzittern an den Berg, in immer engeren Zirkeln bis an mein Herz heran. Das Gluͤck des Lebens ſchien ſeinen Rundgang uͤber die ſchlafende Welt zu machen und, mich auf dem Berge wachend fin¬ dend, mich an die Hand und fuͤr immer an ſeine Seite zu nehmen. Ich entledigte mich andaͤchtig meiner naͤrriſchen Umhuͤllung, legte ſie zuſammen,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/117>, abgerufen am 27.11.2024.