stillschweigend geschlossenen Freundschaft, als vor¬ her. Kaum war ich aus dem Bereiche des Hau¬ ses, so schlug ich das blumige weiche Tuch, das mir eine Wolke des Himmels zu sein dünkte, um Kopf und Schultern, und tanzte darin wie ein Besessener über den nächtlichen Berg. Als ich auf seiner Höhe war unter den Sternen, schlug es unten im Dorfe Mitternacht, die Stille war nun nah und fern so tief geworden, daß sie in ein geisterhaftes Getöse überzugehen schien, und nur, wenn sich diese Täuschung zerstreute und man gesammelt horchte, rauschte und zog der Fluß immer vernehmlich doch leise, wie ein im Traume klagendes Kind. Ein seliger Schauer schien, als ich einen Augenblick stand wie fest¬ gebannt, rings vom Gesichtskreise heranzuzittern an den Berg, in immer engeren Zirkeln bis an mein Herz heran. Das Glück des Lebens schien seinen Rundgang über die schlafende Welt zu machen und, mich auf dem Berge wachend fin¬ dend, mich an die Hand und für immer an seine Seite zu nehmen. Ich entledigte mich andächtig meiner närrischen Umhüllung, legte sie zusammen,
ſtillſchweigend geſchloſſenen Freundſchaft, als vor¬ her. Kaum war ich aus dem Bereiche des Hau¬ ſes, ſo ſchlug ich das blumige weiche Tuch, das mir eine Wolke des Himmels zu ſein duͤnkte, um Kopf und Schultern, und tanzte darin wie ein Beſeſſener uͤber den naͤchtlichen Berg. Als ich auf ſeiner Hoͤhe war unter den Sternen, ſchlug es unten im Dorfe Mitternacht, die Stille war nun nah und fern ſo tief geworden, daß ſie in ein geiſterhaftes Getoͤſe uͤberzugehen ſchien, und nur, wenn ſich dieſe Taͤuſchung zerſtreute und man geſammelt horchte, rauſchte und zog der Fluß immer vernehmlich doch leiſe, wie ein im Traume klagendes Kind. Ein ſeliger Schauer ſchien, als ich einen Augenblick ſtand wie feſt¬ gebannt, rings vom Geſichtskreiſe heranzuzittern an den Berg, in immer engeren Zirkeln bis an mein Herz heran. Das Gluͤck des Lebens ſchien ſeinen Rundgang uͤber die ſchlafende Welt zu machen und, mich auf dem Berge wachend fin¬ dend, mich an die Hand und fuͤr immer an ſeine Seite zu nehmen. Ich entledigte mich andaͤchtig meiner naͤrriſchen Umhuͤllung, legte ſie zuſammen,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0117"n="107"/>ſtillſchweigend geſchloſſenen Freundſchaft, als vor¬<lb/>
her. Kaum war ich aus dem Bereiche des Hau¬<lb/>ſes, ſo ſchlug ich das blumige weiche Tuch, das<lb/>
mir eine Wolke des Himmels zu ſein duͤnkte, um<lb/>
Kopf und Schultern, und tanzte darin wie ein<lb/>
Beſeſſener uͤber den naͤchtlichen Berg. Als ich<lb/>
auf ſeiner Hoͤhe war unter den Sternen, ſchlug<lb/>
es unten im Dorfe Mitternacht, die Stille war<lb/>
nun nah und fern ſo tief geworden, daß ſie in<lb/>
ein geiſterhaftes Getoͤſe uͤberzugehen ſchien, und<lb/>
nur, wenn ſich dieſe Taͤuſchung zerſtreute und<lb/>
man geſammelt horchte, rauſchte und zog der<lb/>
Fluß immer vernehmlich doch leiſe, wie ein im<lb/>
Traume klagendes Kind. Ein ſeliger Schauer<lb/>ſchien, als ich einen Augenblick ſtand wie feſt¬<lb/>
gebannt, rings vom Geſichtskreiſe heranzuzittern<lb/>
an den Berg, in immer engeren Zirkeln bis an<lb/>
mein Herz heran. Das Gluͤck des Lebens ſchien<lb/>ſeinen Rundgang uͤber die ſchlafende Welt zu<lb/>
machen und, mich auf dem Berge wachend fin¬<lb/>
dend, mich an die Hand und fuͤr immer an ſeine<lb/>
Seite zu nehmen. Ich entledigte mich andaͤchtig<lb/>
meiner naͤrriſchen Umhuͤllung, legte ſie zuſammen,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[107/0117]
ſtillſchweigend geſchloſſenen Freundſchaft, als vor¬
her. Kaum war ich aus dem Bereiche des Hau¬
ſes, ſo ſchlug ich das blumige weiche Tuch, das
mir eine Wolke des Himmels zu ſein duͤnkte, um
Kopf und Schultern, und tanzte darin wie ein
Beſeſſener uͤber den naͤchtlichen Berg. Als ich
auf ſeiner Hoͤhe war unter den Sternen, ſchlug
es unten im Dorfe Mitternacht, die Stille war
nun nah und fern ſo tief geworden, daß ſie in
ein geiſterhaftes Getoͤſe uͤberzugehen ſchien, und
nur, wenn ſich dieſe Taͤuſchung zerſtreute und
man geſammelt horchte, rauſchte und zog der
Fluß immer vernehmlich doch leiſe, wie ein im
Traume klagendes Kind. Ein ſeliger Schauer
ſchien, als ich einen Augenblick ſtand wie feſt¬
gebannt, rings vom Geſichtskreiſe heranzuzittern
an den Berg, in immer engeren Zirkeln bis an
mein Herz heran. Das Gluͤck des Lebens ſchien
ſeinen Rundgang uͤber die ſchlafende Welt zu
machen und, mich auf dem Berge wachend fin¬
dend, mich an die Hand und fuͤr immer an ſeine
Seite zu nehmen. Ich entledigte mich andaͤchtig
meiner naͤrriſchen Umhuͤllung, legte ſie zuſammen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/117>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.