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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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tetem Hause, wogte auf und nieder, erlöschte bis
auf das gehaltene Singen eines einzelnen Insek¬
tes, belebte sich wieder und schwellte muthwillig
und volltönig an; dann zog es sich in die Dun¬
kelheiten zurück, welche die Jasmin- und Hol¬
lunderbüsche über den Grabzeichen bildeten, bis
eine brummende Hummel den Reigen wieder an's
Licht führte, die Blumenkelche nickten im Rhyth¬
mus vom fortwährenden Absitzen und Auffliegen
der Musikanten. Und unter diesem zarten Ge¬
webe lag das Schweigen der Gräber und der
Jahrhunderte, beredt und vollmächtig und schwoll
hinunter bis in die Tage, wo dieser Zweig ale¬
manischen Wandervolkes sich hier festgesetzt und
die erste Grube gegraben. Ihr Wort, Spuren
ihrer Sitte und ihre Gesetze leben noch im grü¬
nen Gau, in den kleinen grauen Steinstädten,
die an den Flüssen hangen oder an Halden leh¬
nen, und ein heiliges Bewußtsein der Geschichte
that sich auf auf diesem Friedhofe. Daher em¬
pfand ich eine Art von Scheu, vor die ergraute
Frau zu treten, die ich noch nie gesehen und mir
eher als eine gestorbene Vorfahrin, denn als eine

tetem Hauſe, wogte auf und nieder, erloͤſchte bis
auf das gehaltene Singen eines einzelnen Inſek¬
tes, belebte ſich wieder und ſchwellte muthwillig
und volltoͤnig an; dann zog es ſich in die Dun¬
kelheiten zuruͤck, welche die Jasmin- und Hol¬
lunderbuͤſche uͤber den Grabzeichen bildeten, bis
eine brummende Hummel den Reigen wieder an's
Licht fuͤhrte, die Blumenkelche nickten im Rhyth¬
mus vom fortwaͤhrenden Abſitzen und Auffliegen
der Muſikanten. Und unter dieſem zarten Ge¬
webe lag das Schweigen der Graͤber und der
Jahrhunderte, beredt und vollmaͤchtig und ſchwoll
hinunter bis in die Tage, wo dieſer Zweig ale¬
maniſchen Wandervolkes ſich hier feſtgeſetzt und
die erſte Grube gegraben. Ihr Wort, Spuren
ihrer Sitte und ihre Geſetze leben noch im gruͤ¬
nen Gau, in den kleinen grauen Steinſtaͤdten,
die an den Fluͤſſen hangen oder an Halden leh¬
nen, und ein heiliges Bewußtſein der Geſchichte
that ſich auf auf dieſem Friedhofe. Daher em¬
pfand ich eine Art von Scheu, vor die ergraute
Frau zu treten, die ich noch nie geſehen und mir
eher als eine geſtorbene Vorfahrin, denn als eine

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[6/0016] tetem Hauſe, wogte auf und nieder, erloͤſchte bis auf das gehaltene Singen eines einzelnen Inſek¬ tes, belebte ſich wieder und ſchwellte muthwillig und volltoͤnig an; dann zog es ſich in die Dun¬ kelheiten zuruͤck, welche die Jasmin- und Hol¬ lunderbuͤſche uͤber den Grabzeichen bildeten, bis eine brummende Hummel den Reigen wieder an's Licht fuͤhrte, die Blumenkelche nickten im Rhyth¬ mus vom fortwaͤhrenden Abſitzen und Auffliegen der Muſikanten. Und unter dieſem zarten Ge¬ webe lag das Schweigen der Graͤber und der Jahrhunderte, beredt und vollmaͤchtig und ſchwoll hinunter bis in die Tage, wo dieſer Zweig ale¬ maniſchen Wandervolkes ſich hier feſtgeſetzt und die erſte Grube gegraben. Ihr Wort, Spuren ihrer Sitte und ihre Geſetze leben noch im gruͤ¬ nen Gau, in den kleinen grauen Steinſtaͤdten, die an den Fluͤſſen hangen oder an Halden leh¬ nen, und ein heiliges Bewußtſein der Geſchichte that ſich auf auf dieſem Friedhofe. Daher em¬ pfand ich eine Art von Scheu, vor die ergraute Frau zu treten, die ich noch nie geſehen und mir eher als eine geſtorbene Vorfahrin, denn als eine

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/16>, abgerufen am 03.12.2024.