Gedächtniß in Wasserfarben malte. Dies war für mich das allergrößte Glück, wenn ich mich an einem klaren Spiegelwässerchen unter dichtem Blät¬ terdache so wohnlich eingerichtet hatte, das Bild auf den Knieen. Ich konnte nicht zeichnen, daher fiel das Ganze etwas byzantinisch aus, was ihm bei der Fertigkeit und dem Glanz der Farben ein eigenes Ansehen gab. Jeden Tag betrachtete ich Anna verstohlen oder offen und verbesserte danach das Bild, bis es zuletzt ganz ähnlich wurde. Es war in ganzer Figur und stand in einem reichen Blumenbeete, dessen hohe Blüthen und Kronen mit Anna's Haupt in den tief¬ blauen Himmel ragten; der obere Theil der Zeichnung war bogenförmig abgerundet und mit Rankenwerk eingefaßt, in welchem glänzende Vögel und Schmetterlinge saßen, deren Farben ich noch mit Goldlichtern erhöhte. Alles dies, sowie Anna's Gewand, welches ich phantasie¬ voll bereicherte, war mir die angenehmste Arbeit während vieler Tage, die ich im Walde zu¬ brachte, und ich unterbrach diese Arbeit nur, um auf meiner Flöte zu spielen, welche ich beständig
Gedaͤchtniß in Waſſerfarben malte. Dies war fuͤr mich das allergroͤßte Gluͤck, wenn ich mich an einem klaren Spiegelwaͤſſerchen unter dichtem Blaͤt¬ terdache ſo wohnlich eingerichtet hatte, das Bild auf den Knieen. Ich konnte nicht zeichnen, daher fiel das Ganze etwas byzantiniſch aus, was ihm bei der Fertigkeit und dem Glanz der Farben ein eigenes Anſehen gab. Jeden Tag betrachtete ich Anna verſtohlen oder offen und verbeſſerte danach das Bild, bis es zuletzt ganz aͤhnlich wurde. Es war in ganzer Figur und ſtand in einem reichen Blumenbeete, deſſen hohe Bluͤthen und Kronen mit Anna's Haupt in den tief¬ blauen Himmel ragten; der obere Theil der Zeichnung war bogenfoͤrmig abgerundet und mit Rankenwerk eingefaßt, in welchem glaͤnzende Voͤgel und Schmetterlinge ſaßen, deren Farben ich noch mit Goldlichtern erhoͤhte. Alles dies, ſowie Anna's Gewand, welches ich phantaſie¬ voll bereicherte, war mir die angenehmſte Arbeit waͤhrend vieler Tage, die ich im Walde zu¬ brachte, und ich unterbrach dieſe Arbeit nur, um auf meiner Floͤte zu ſpielen, welche ich beſtaͤndig
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0278"n="268"/>
Gedaͤchtniß in Waſſerfarben malte. Dies war<lb/>
fuͤr mich das allergroͤßte Gluͤck, wenn ich mich an<lb/>
einem klaren Spiegelwaͤſſerchen unter dichtem Blaͤt¬<lb/>
terdache ſo wohnlich eingerichtet hatte, das Bild<lb/>
auf den Knieen. Ich konnte nicht zeichnen, daher<lb/>
fiel das Ganze etwas byzantiniſch aus, was ihm<lb/>
bei der Fertigkeit und dem Glanz der Farben<lb/>
ein eigenes Anſehen gab. Jeden Tag betrachtete<lb/>
ich Anna verſtohlen oder offen und verbeſſerte<lb/>
danach das Bild, bis es zuletzt ganz aͤhnlich<lb/>
wurde. Es war in ganzer Figur und ſtand in<lb/>
einem reichen Blumenbeete, deſſen hohe Bluͤthen<lb/>
und Kronen mit Anna's Haupt in den tief¬<lb/>
blauen Himmel ragten; der obere Theil der<lb/>
Zeichnung war bogenfoͤrmig abgerundet und mit<lb/>
Rankenwerk eingefaßt, in welchem glaͤnzende<lb/>
Voͤgel und Schmetterlinge ſaßen, deren Farben<lb/>
ich noch mit Goldlichtern erhoͤhte. Alles dies,<lb/>ſowie Anna's Gewand, welches ich phantaſie¬<lb/>
voll bereicherte, war mir die angenehmſte Arbeit<lb/>
waͤhrend vieler Tage, die ich im Walde zu¬<lb/>
brachte, und ich unterbrach dieſe Arbeit nur, um<lb/>
auf meiner Floͤte zu ſpielen, welche ich beſtaͤndig<lb/></p></div></body></text></TEI>
[268/0278]
Gedaͤchtniß in Waſſerfarben malte. Dies war
fuͤr mich das allergroͤßte Gluͤck, wenn ich mich an
einem klaren Spiegelwaͤſſerchen unter dichtem Blaͤt¬
terdache ſo wohnlich eingerichtet hatte, das Bild
auf den Knieen. Ich konnte nicht zeichnen, daher
fiel das Ganze etwas byzantiniſch aus, was ihm
bei der Fertigkeit und dem Glanz der Farben
ein eigenes Anſehen gab. Jeden Tag betrachtete
ich Anna verſtohlen oder offen und verbeſſerte
danach das Bild, bis es zuletzt ganz aͤhnlich
wurde. Es war in ganzer Figur und ſtand in
einem reichen Blumenbeete, deſſen hohe Bluͤthen
und Kronen mit Anna's Haupt in den tief¬
blauen Himmel ragten; der obere Theil der
Zeichnung war bogenfoͤrmig abgerundet und mit
Rankenwerk eingefaßt, in welchem glaͤnzende
Voͤgel und Schmetterlinge ſaßen, deren Farben
ich noch mit Goldlichtern erhoͤhte. Alles dies,
ſowie Anna's Gewand, welches ich phantaſie¬
voll bereicherte, war mir die angenehmſte Arbeit
waͤhrend vieler Tage, die ich im Walde zu¬
brachte, und ich unterbrach dieſe Arbeit nur, um
auf meiner Floͤte zu ſpielen, welche ich beſtaͤndig
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/278>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.