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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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sich sehr wohl zu befinden! Ueberhaupt ging sein
ganzes Streben dahin, sich immer für etwas
Anderes zu geben, als er war, was ihm ein
fortgesetztes Studium verursachte, so daß er, der
eigentlich nichts that und nie etwas genützt hatte,
doch zu jeder Minute in der complicirtesten Thä¬
tigkeit begriffen war. Hierzu bedürfte er eines
fortgesetzten Schleichens und Lauerns, theils um
die günstigen Momente zu erhaschen, um seine
Narrheiten vorzubringen, theils um Andere auf
schwachen Seiten zu ertappen, da eine Haupt¬
leidenschaft von ihm darin bestand, die ganze
Welt der Unwahrheit und Lüge zu überführen,
und es war nichts Lustigeres zu sehen, als wenn
er, soeben hinter einer Thür, wo er gelauert
hatte, auf den Zehen hervorhüpfend, plötzlich strack
und steif da stand, mit rollenden Augen um sich
stierte und mit bombastischen Worten seine Grad¬
heit, Ehrlichkeit und arglose Derbheit anrühmte.
Da er bei Alledem wohl fühlte, daß Jedermann
besser daran war als er, so erfüllte ein unnenn¬
bar neidisches Wesen seine Seele, welches ihn
verzehrte wie ein glühendes Feuer, und welches

ſich ſehr wohl zu befinden! Ueberhaupt ging ſein
ganzes Streben dahin, ſich immer fuͤr etwas
Anderes zu geben, als er war, was ihm ein
fortgeſetztes Studium verurſachte, ſo daß er, der
eigentlich nichts that und nie etwas genuͤtzt hatte,
doch zu jeder Minute in der complicirteſten Thaͤ¬
tigkeit begriffen war. Hierzu beduͤrfte er eines
fortgeſetzten Schleichens und Lauerns, theils um
die guͤnſtigen Momente zu erhaſchen, um ſeine
Narrheiten vorzubringen, theils um Andere auf
ſchwachen Seiten zu ertappen, da eine Haupt¬
leidenſchaft von ihm darin beſtand, die ganze
Welt der Unwahrheit und Luͤge zu uͤberfuͤhren,
und es war nichts Luſtigeres zu ſehen, als wenn
er, ſoeben hinter einer Thuͤr, wo er gelauert
hatte, auf den Zehen hervorhuͤpfend, ploͤtzlich ſtrack
und ſteif da ſtand, mit rollenden Augen um ſich
ſtierte und mit bombaſtiſchen Worten ſeine Grad¬
heit, Ehrlichkeit und argloſe Derbheit anruͤhmte.
Da er bei Alledem wohl fuͤhlte, daß Jedermann
beſſer daran war als er, ſo erfuͤllte ein unnenn¬
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[308/0318] ſich ſehr wohl zu befinden! Ueberhaupt ging ſein ganzes Streben dahin, ſich immer fuͤr etwas Anderes zu geben, als er war, was ihm ein fortgeſetztes Studium verurſachte, ſo daß er, der eigentlich nichts that und nie etwas genuͤtzt hatte, doch zu jeder Minute in der complicirteſten Thaͤ¬ tigkeit begriffen war. Hierzu beduͤrfte er eines fortgeſetzten Schleichens und Lauerns, theils um die guͤnſtigen Momente zu erhaſchen, um ſeine Narrheiten vorzubringen, theils um Andere auf ſchwachen Seiten zu ertappen, da eine Haupt¬ leidenſchaft von ihm darin beſtand, die ganze Welt der Unwahrheit und Luͤge zu uͤberfuͤhren, und es war nichts Luſtigeres zu ſehen, als wenn er, ſoeben hinter einer Thuͤr, wo er gelauert hatte, auf den Zehen hervorhuͤpfend, ploͤtzlich ſtrack und ſteif da ſtand, mit rollenden Augen um ſich ſtierte und mit bombaſtiſchen Worten ſeine Grad¬ heit, Ehrlichkeit und argloſe Derbheit anruͤhmte. Da er bei Alledem wohl fuͤhlte, daß Jedermann beſſer daran war als er, ſo erfuͤllte ein unnenn¬ bar neidiſches Weſen ſeine Seele, welches ihn verzehrte wie ein gluͤhendes Feuer, und welches

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/318>, abgerufen am 25.11.2024.