lerdings in meinem Aufzuge als ein vollendeter Pro¬ testant da; weil ich aber ohne Trotz und Unbeschei¬ denheit mich eher zu verbergen suchte, so verlor ich mich wieder und wurde nicht weiter beachtet. Die Ansprache des Geistlichen gefiel mir sehr wohl; ihr Hauptinhalt war, daß von nun an ein neues Leben für uns beginne, daß alle bisherigen Vergehun¬ gen vergeben und vergessen sein sollten, hingegen die künftigen mit einem strengeren Maße gemes¬ sen würden. Ich fühlte wohl, daß ein solcher Uebergang nothwendig und die Zeit dazu gekommen sei; darum schloß ich mich mit meinen ernsten Vorsätzen, welche ich insbesondere faßte, gern und aufrichtig diesem öffentlichen Vorgange an und war auch dem Manne gut, als er angelegentlich uns ermahnte, nie das Vertrauen zum Besseren in uns selbst zu verlieren. Aus seiner Behau¬ sung zogen wir in die Kirche vor die ganze Ge¬ meinde, wo die eigentliche Feier vor sich ging. Dort war der Geistliche plötzlich ein ganz Anderer; er trat gewaltig und hoch auf, holte seine Be¬ redtsamkeit aus der Rüstkammer der bestehenden Kirche und führte in tönenden Worten Himmel und
lerdings in meinem Aufzuge als ein vollendeter Pro¬ teſtant da; weil ich aber ohne Trotz und Unbeſchei¬ denheit mich eher zu verbergen ſuchte, ſo verlor ich mich wieder und wurde nicht weiter beachtet. Die Anſprache des Geiſtlichen gefiel mir ſehr wohl; ihr Hauptinhalt war, daß von nun an ein neues Leben fuͤr uns beginne, daß alle bisherigen Vergehun¬ gen vergeben und vergeſſen ſein ſollten, hingegen die kuͤnftigen mit einem ſtrengeren Maße gemeſ¬ ſen wuͤrden. Ich fuͤhlte wohl, daß ein ſolcher Uebergang nothwendig und die Zeit dazu gekommen ſei; darum ſchloß ich mich mit meinen ernſten Vorſaͤtzen, welche ich insbeſondere faßte, gern und aufrichtig dieſem oͤffentlichen Vorgange an und war auch dem Manne gut, als er angelegentlich uns ermahnte, nie das Vertrauen zum Beſſeren in uns ſelbſt zu verlieren. Aus ſeiner Behau¬ ſung zogen wir in die Kirche vor die ganze Ge¬ meinde, wo die eigentliche Feier vor ſich ging. Dort war der Geiſtliche ploͤtzlich ein ganz Anderer; er trat gewaltig und hoch auf, holte ſeine Be¬ redtſamkeit aus der Ruͤſtkammer der beſtehenden Kirche und fuͤhrte in toͤnenden Worten Himmel und
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lerdings in meinem Aufzuge als ein vollendeter Pro¬
teſtant da; weil ich aber ohne Trotz und Unbeſchei¬
denheit mich eher zu verbergen ſuchte, ſo verlor ich
mich wieder und wurde nicht weiter beachtet. Die
Anſprache des Geiſtlichen gefiel mir ſehr wohl; ihr
Hauptinhalt war, daß von nun an ein neues Leben
fuͤr uns beginne, daß alle bisherigen Vergehun¬
gen vergeben und vergeſſen ſein ſollten, hingegen
die kuͤnftigen mit einem ſtrengeren Maße gemeſ¬
ſen wuͤrden. Ich fuͤhlte wohl, daß ein ſolcher
Uebergang nothwendig und die Zeit dazu gekommen
ſei; darum ſchloß ich mich mit meinen ernſten
Vorſaͤtzen, welche ich insbeſondere faßte, gern und
aufrichtig dieſem oͤffentlichen Vorgange an und
war auch dem Manne gut, als er angelegentlich
uns ermahnte, nie das Vertrauen zum Beſſeren
in uns ſelbſt zu verlieren. Aus ſeiner Behau¬
ſung zogen wir in die Kirche vor die ganze Ge¬
meinde, wo die eigentliche Feier vor ſich ging.
Dort war der Geiſtliche ploͤtzlich ein ganz Anderer;
er trat gewaltig und hoch auf, holte ſeine Be¬
redtſamkeit aus der Ruͤſtkammer der beſtehenden
Kirche und fuͤhrte in toͤnenden Worten Himmel und
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/334>, abgerufen am 26.11.2024.
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