Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

Hölle an uns vorüber. Seine Rede war kunstvoll
gebaut und mit steigender Spannung auf Einen
Moment hingerichtet, welcher die ganze Gemeinde
erschüttern sollte, als wir, die in einem weiten
Kreise um ihn herumstanden, ein lautes und feier¬
liches Ja aussprechen mußten. Ich hörte nicht auf
den Sinn seiner Worte und flüsterte ein Ja mit,
ohne die Frage deutlich verstanden zu haben; jedoch
durchfuhr mich ein Schauer und ich zitterte einen
Augenblick lang, ohne daß ich dieser Bewegung
Herr werden konnte. Sie war eine dunkle Mischung
von unwillkürlicher Hingabe an die allgemeine Rüh¬
rung und von einem tiefen Schrecken, welcher mich
über dem Gedanken ergriff, daß ich, so jung noch
und unerfahren, doch einer so uralten Meinung und
einer gewaltigen Gemeinschaft, von der ich ein unbe¬
deutendes Theilchen war, abgefallen gegenüberstand.

Am Weihnachtsmorgen mußten wir wieder
im vereinten Zuge zur Kirche gehen, um nun das
Nachtmahl zu nehmen. Ich war schon in der
Frühe guter Laune, noch ein paar Stunden und
ich sollte frei sein von allem geistigen Zwange,
frei wie der Vogel in der Luft! Ich fühlte mich

Hoͤlle an uns voruͤber. Seine Rede war kunſtvoll
gebaut und mit ſteigender Spannung auf Einen
Moment hingerichtet, welcher die ganze Gemeinde
erſchuͤttern ſollte, als wir, die in einem weiten
Kreiſe um ihn herumſtanden, ein lautes und feier¬
liches Ja ausſprechen mußten. Ich hoͤrte nicht auf
den Sinn ſeiner Worte und fluͤſterte ein Ja mit,
ohne die Frage deutlich verſtanden zu haben; jedoch
durchfuhr mich ein Schauer und ich zitterte einen
Augenblick lang, ohne daß ich dieſer Bewegung
Herr werden konnte. Sie war eine dunkle Miſchung
von unwillkuͤrlicher Hingabe an die allgemeine Ruͤh¬
rung und von einem tiefen Schrecken, welcher mich
uͤber dem Gedanken ergriff, daß ich, ſo jung noch
und unerfahren, doch einer ſo uralten Meinung und
einer gewaltigen Gemeinſchaft, von der ich ein unbe¬
deutendes Theilchen war, abgefallen gegenuͤberſtand.

Am Weihnachtsmorgen mußten wir wieder
im vereinten Zuge zur Kirche gehen, um nun das
Nachtmahl zu nehmen. Ich war ſchon in der
Fruͤhe guter Laune, noch ein paar Stunden und
ich ſollte frei ſein von allem geiſtigen Zwange,
frei wie der Vogel in der Luft! Ich fuͤhlte mich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0335" n="325"/>
Ho&#x0364;lle an uns voru&#x0364;ber. Seine Rede war kun&#x017F;tvoll<lb/>
gebaut und mit &#x017F;teigender Spannung auf Einen<lb/>
Moment hingerichtet, welcher die ganze Gemeinde<lb/>
er&#x017F;chu&#x0364;ttern &#x017F;ollte, als wir, die in einem weiten<lb/>
Krei&#x017F;e um ihn herum&#x017F;tanden, ein lautes und feier¬<lb/>
liches Ja aus&#x017F;prechen mußten. Ich ho&#x0364;rte nicht auf<lb/>
den Sinn &#x017F;einer Worte und flu&#x0364;&#x017F;terte ein Ja mit,<lb/>
ohne die Frage deutlich ver&#x017F;tanden zu haben; jedoch<lb/>
durchfuhr mich ein Schauer und ich zitterte einen<lb/>
Augenblick lang, ohne daß ich die&#x017F;er Bewegung<lb/>
Herr werden konnte. Sie war eine dunkle Mi&#x017F;chung<lb/>
von unwillku&#x0364;rlicher Hingabe an die allgemeine Ru&#x0364;<lb/>
rung und von einem tiefen Schrecken, welcher mich<lb/>
u&#x0364;ber dem Gedanken ergriff, daß ich, &#x017F;o jung noch<lb/>
und unerfahren, doch einer &#x017F;o uralten Meinung und<lb/>
einer gewaltigen Gemein&#x017F;chaft, von der ich ein unbe¬<lb/>
deutendes Theilchen war, abgefallen gegenu&#x0364;ber&#x017F;tand.</p><lb/>
        <p>Am Weihnachtsmorgen mußten wir wieder<lb/>
im vereinten Zuge zur Kirche gehen, um nun das<lb/>
Nachtmahl zu nehmen. Ich war &#x017F;chon in der<lb/>
Fru&#x0364;he guter Laune, noch ein paar Stunden und<lb/>
ich &#x017F;ollte frei &#x017F;ein von allem gei&#x017F;tigen Zwange,<lb/>
frei wie der Vogel in der Luft! Ich fu&#x0364;hlte mich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[325/0335] Hoͤlle an uns voruͤber. Seine Rede war kunſtvoll gebaut und mit ſteigender Spannung auf Einen Moment hingerichtet, welcher die ganze Gemeinde erſchuͤttern ſollte, als wir, die in einem weiten Kreiſe um ihn herumſtanden, ein lautes und feier¬ liches Ja ausſprechen mußten. Ich hoͤrte nicht auf den Sinn ſeiner Worte und fluͤſterte ein Ja mit, ohne die Frage deutlich verſtanden zu haben; jedoch durchfuhr mich ein Schauer und ich zitterte einen Augenblick lang, ohne daß ich dieſer Bewegung Herr werden konnte. Sie war eine dunkle Miſchung von unwillkuͤrlicher Hingabe an die allgemeine Ruͤh¬ rung und von einem tiefen Schrecken, welcher mich uͤber dem Gedanken ergriff, daß ich, ſo jung noch und unerfahren, doch einer ſo uralten Meinung und einer gewaltigen Gemeinſchaft, von der ich ein unbe¬ deutendes Theilchen war, abgefallen gegenuͤberſtand. Am Weihnachtsmorgen mußten wir wieder im vereinten Zuge zur Kirche gehen, um nun das Nachtmahl zu nehmen. Ich war ſchon in der Fruͤhe guter Laune, noch ein paar Stunden und ich ſollte frei ſein von allem geiſtigen Zwange, frei wie der Vogel in der Luft! Ich fuͤhlte mich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/335
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/335>, abgerufen am 26.11.2024.