im Jahre 1780 in Dresden erlernt bei seinem verehrten Meister Zink, oder wie er ihn nannte. Es gibt, pflegte er zu sagen, zwei Klassen von Bäumen, in welche alle zerfallen, in die mit run¬ den, und die mit gezackten Blättern. Daher giebt es zwei Manieren, die gezackete Eichenma¬ nier und die gerundete Lindenmanier! Wenn er bestrebt war, unsern jungen Damen das geläufige Schreiben dieser Manieren beizubringen, so sagte er, sie müßten sich vor Allem an einen gewissen Takt gewöhnen, z. B. beim Zeichnen dieses oder jenes Baumschlages zählen: Eins, zwei, drei -- vier, fünf, sechs! Das ist ja der Walzer¬ takt! schrieen die Mädchen und begannen um ihn herumzutanzen, bis er wüthend aufsprang, daß ihm der Zopf wackelte!"
So gewann ich auf dem seltsamen Wege einer Tradition, deren Träger selbst der Sache fremd war, den ersten Anhaltspunkt. Ich betrachtete die Blätter stumm und aufmerksam und bat mir die Mappe zur freien Verfügung aus. Sie ent¬ hielt überdies noch eine Anzahl radirter Land¬ schaften, einige Waterloo's, einige idyllische Haine
im Jahre 1780 in Dresden erlernt bei ſeinem verehrten Meiſter Zink, oder wie er ihn nannte. Es gibt, pflegte er zu ſagen, zwei Klaſſen von Baͤumen, in welche alle zerfallen, in die mit run¬ den, und die mit gezackten Blaͤttern. Daher giebt es zwei Manieren, die gezackete Eichenma¬ nier und die gerundete Lindenmanier! Wenn er beſtrebt war, unſern jungen Damen das gelaͤufige Schreiben dieſer Manieren beizubringen, ſo ſagte er, ſie muͤßten ſich vor Allem an einen gewiſſen Takt gewoͤhnen, z. B. beim Zeichnen dieſes oder jenes Baumſchlages zaͤhlen: Eins, zwei, drei — vier, fuͤnf, ſechs! Das iſt ja der Walzer¬ takt! ſchrieen die Maͤdchen und begannen um ihn herumzutanzen, bis er wuͤthend aufſprang, daß ihm der Zopf wackelte!«
So gewann ich auf dem ſeltſamen Wege einer Tradition, deren Traͤger ſelbſt der Sache fremd war, den erſten Anhaltspunkt. Ich betrachtete die Blaͤtter ſtumm und aufmerkſam und bat mir die Mappe zur freien Verfuͤgung aus. Sie ent¬ hielt uͤberdies noch eine Anzahl radirter Land¬ ſchaften, einige Waterloo's, einige idylliſche Haine
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im Jahre 1780 in Dresden erlernt bei ſeinem
verehrten Meiſter Zink, oder wie er ihn nannte.
Es gibt, pflegte er zu ſagen, zwei Klaſſen von
Baͤumen, in welche alle zerfallen, in die mit run¬
den, und die mit gezackten Blaͤttern. Daher
giebt es zwei Manieren, die gezackete Eichenma¬
nier und die gerundete Lindenmanier! Wenn er
beſtrebt war, unſern jungen Damen das gelaͤufige
Schreiben dieſer Manieren beizubringen, ſo ſagte
er, ſie muͤßten ſich vor Allem an einen gewiſſen
Takt gewoͤhnen, z. B. beim Zeichnen dieſes oder
jenes Baumſchlages zaͤhlen: Eins, zwei, drei
— vier, fuͤnf, ſechs! Das iſt ja der Walzer¬
takt! ſchrieen die Maͤdchen und begannen um ihn
herumzutanzen, bis er wuͤthend aufſprang, daß
ihm der Zopf wackelte!«
So gewann ich auf dem ſeltſamen Wege einer
Tradition, deren Traͤger ſelbſt der Sache fremd
war, den erſten Anhaltspunkt. Ich betrachtete
die Blaͤtter ſtumm und aufmerkſam und bat mir
die Mappe zur freien Verfuͤgung aus. Sie ent¬
hielt uͤberdies noch eine Anzahl radirter Land¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/39>, abgerufen am 21.11.2024.
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