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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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Wunsch war. Um wie viel mehr mußte sie be¬
troffen sein, welche ein Mädchen und dazu tausend¬
mal feiner, reiner und stolzer war, als alle An¬
deren! Indem ich sie so gewaltsam an mich
drückte und küßte und sie in der Verwirrung dies
erwiederte, neigten wir den Becher unserer un¬
schuldigen Lust zu sehr; sein Trank überschüttete
uns mit plötzlicher Kälte und das fast feindliche
Fühlen des Körpers riß uns vollends aus dem
Himmel. Diese Folgen einer so unschuldigen
und herzlichen Aufwallung zwischen zwei jun¬
gen Leutchen, welche als Kinder schon ge¬
nau dasselbe gethan ohne alle Bekümmerniß,
mögen Vielen närrisch vorkommen; uns aber
dünkte die Sache gar nicht spaßhaft, und wir saßen
mit wirklichem Grame an dem Wasser, das um
keinen Grad reiner war, als Anna's Seele. Un¬
sere Lage war um so peinlicher, als wir uns
diese Rechenschaft darüber damals nicht zu geben
vermochten. Ich meinerseits befand mich in der
völligsten Verwirrung. Daß wir etwas Unrech¬
tes gethan, konnte mir nicht einfallen; ich glaubte
daher, daß der Vorfall irgend etwas Fremdes,

Wunſch war. Um wie viel mehr mußte ſie be¬
troffen ſein, welche ein Maͤdchen und dazu tauſend¬
mal feiner, reiner und ſtolzer war, als alle An¬
deren! Indem ich ſie ſo gewaltſam an mich
druͤckte und kuͤßte und ſie in der Verwirrung dies
erwiederte, neigten wir den Becher unſerer un¬
ſchuldigen Luſt zu ſehr; ſein Trank uͤberſchuͤttete
uns mit ploͤtzlicher Kaͤlte und das faſt feindliche
Fuͤhlen des Koͤrpers riß uns vollends aus dem
Himmel. Dieſe Folgen einer ſo unſchuldigen
und herzlichen Aufwallung zwiſchen zwei jun¬
gen Leutchen, welche als Kinder ſchon ge¬
nau daſſelbe gethan ohne alle Bekuͤmmerniß,
moͤgen Vielen naͤrriſch vorkommen; uns aber
duͤnkte die Sache gar nicht ſpaßhaft, und wir ſaßen
mit wirklichem Grame an dem Waſſer, das um
keinen Grad reiner war, als Anna's Seele. Un¬
ſere Lage war um ſo peinlicher, als wir uns
dieſe Rechenſchaft daruͤber damals nicht zu geben
vermochten. Ich meinerſeits befand mich in der
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[414/0424] Wunſch war. Um wie viel mehr mußte ſie be¬ troffen ſein, welche ein Maͤdchen und dazu tauſend¬ mal feiner, reiner und ſtolzer war, als alle An¬ deren! Indem ich ſie ſo gewaltſam an mich druͤckte und kuͤßte und ſie in der Verwirrung dies erwiederte, neigten wir den Becher unſerer un¬ ſchuldigen Luſt zu ſehr; ſein Trank uͤberſchuͤttete uns mit ploͤtzlicher Kaͤlte und das faſt feindliche Fuͤhlen des Koͤrpers riß uns vollends aus dem Himmel. Dieſe Folgen einer ſo unſchuldigen und herzlichen Aufwallung zwiſchen zwei jun¬ gen Leutchen, welche als Kinder ſchon ge¬ nau daſſelbe gethan ohne alle Bekuͤmmerniß, moͤgen Vielen naͤrriſch vorkommen; uns aber duͤnkte die Sache gar nicht ſpaßhaft, und wir ſaßen mit wirklichem Grame an dem Waſſer, das um keinen Grad reiner war, als Anna's Seele. Un¬ ſere Lage war um ſo peinlicher, als wir uns dieſe Rechenſchaft daruͤber damals nicht zu geben vermochten. Ich meinerſeits befand mich in der voͤlligſten Verwirrung. Daß wir etwas Unrech¬ tes gethan, konnte mir nicht einfallen; ich glaubte daher, daß der Vorfall irgend etwas Fremdes,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/424>, abgerufen am 23.11.2024.